Der Fluch des Nebelgeistes 05 - Die Streitmacht von Vastmark
hatte, mit dankbarer Erleichterung der Obhut Dalwyns überantwortete. Eines Meisterbarden Pflicht war es, den Kummer in den Herzen der solchermaßen Beraubten zu lindern. Arithon mußte nun eine Erklärung für Geschehnisse liefern, die zu grausam waren, als daß irgendein anderer sie mit Anstand und Diplomatie hätte darlegen können.
Der Wahnsinnige Prophet verzog sich in eine Ecke. Nicht länger war er zufrieden damit, das Leben eines Taugenichts geführt zu haben. Keineswegs gewillt, sich Gedanken über das Ausmaß des Unglücks zu machen, das nur darauf wartete, seine Zukunft zu vergiften, wünschte er erbittert, die Behausungen der Schäfer von Vastmark wären nicht gar so karg möbliert. Nicht ein Stuhl, nicht ein Kissen war greifbar, ihm das dringende Bedürfnis, sich zu setzen, zu erleichtern.
In den Winterhütten in den tiefen Tälern mochte es einen steinernen Tisch und ein paar dreibeinige Hocker geben, doch in den Zelten, die die Schäfer auf ihrem Weg zu den Herden auf den Hochweiden mit sich führten, gab es nichts, was nicht problemlos getragen oder von einem Hund mit Hilfe von Kufen gezogen werden konnte. Überdies war Holz kostbare Mangelware. Das einzig Auffällige in jedem Sippenhaushalt war der Waffenschrank, der, liebevoll mit Kupfereinlegearbeiten und Intarsien aus Gebeinen gefertigt, Platz für die unentbehrlichen Utensilien bot: Langbogen für feuchtes, unfreundliches Wetter und kurze Bogen aus Horn, Leim, Sehnen und Holz, die an trockenen Tagen für weit entfernte Ziele benutzt wurden. Jeder Bogen lag ohne Sehne neben einem Köcher mit Pfeilen, deren Spitzen mit Widerhaken versehen waren. Gleich daneben hingen an Lederriemen die Signalhörner aus Widderhorn, geschmückt mit silbernen Mundstücken und allerlei Segenszeichen, ein jedes ein Erbstück, das von der Mutter an die Tochter, vom Vater an den Sohn weitergegeben wurde.
Die Behausung selbst war überaus beengt. Der Wind zerrte an den Zeltbahnen und fegte am Mittelpfosten vorbei ins Innere, wirbelte den rauchigen Geruch des Talgs, der Schaffelle und den staubigen Moderdunst verfilzter Wolle auf. Dalwyn wühlte in einigen, mit Riemen verschnürten, Bündeln, bis sie schließlich eine Bahn rissigen Leders gefunden hatte, aus der sie ein Leichentuch nähen konnte. Dann verließ sie das Zelt, um das geschmorte Lamm in dem Gemeinschaftskessel über dem Feuer unter freiem Himmel zu erwärmen. Hemdsärmelig hockte Arithon noch immer auf Knien vor dem alten Herrn und sprach zu ihm, während Dakar aufgeregt erkannte, daß es ihm endlich möglich war, das Timbre der Mühsal auszuwerten, das sich in leisem Schnarren auf die Stimme seines Feindes niederschlug.
Ein Schleier der Ermattung lag über den Augen des Meisterbarden, als er sich wieder rührte, um seine Lyranthe von Dakar zurückzuverlangen, dennoch prägte auch vorsichtige Wachsamkeit die Übergabe.
Arithon war klug genug, vor der Feindseligkeit auf der Hut zu sein, der er selbst den Zugang zu seinem ungedeckten Rücken freigemacht hatte. Nur seine Achtung vor dem Leid dieser Familie hielt ihn davon ab, sich durch seine gewohnt bissige Zunge Distanz zu verschaffen.
Wieder und wieder, erzitternd am Ende seiner Kräfte, entlockte er der Lyranthe die exquisiten Noten jener Weise, die zuvor gespielt worden war, Jilieth das Sterben zu erleichtern. Die Läuterung erschütterte den alten Mann zu Tränen, und er schluchzte in das blonde Haar seines Sohnes. Dalwyn lehnte sich zusammengesunken in einem Wirrwarr zerknautschter Kleider an den Mittelpfosten des Zeltes, preßte das Kinn auf ihre Daumenknöchel und hielt die Glöckchen an ihren Zöpfen still zwischen ihren gefalteten Händen.
Als Arithon schließlich das Instrument ablegte und sich erhob, um hinauszugehen, machte niemand einen Versuch, ihn aufzuhalten. Doch Dakars verschlagene Natur hatte sich durch die Musik nicht einlullen lassen. Eingebunden in eine geballte Gehässigkeit, die zu lösen es ihm an Feinsinnigkeit fehlte, beschloß er, seine Zeit abzuwarten und sich bis dahin im Stillen seiner neugewonnenen Macht zu erfreuen. Der Tag würde kommen, an dem er nicht bis ins Innerste erschüttert sein würde, angesichts der Not eines toten Kindes. Mit Muße würde es ihm gelingen, die widersinnige Natur seines Gegenspielers zu durchschauen, nun da die Barrieren zwischen ihnen zu einem Schatten ihrer selbst zerfressen waren. Sorgfältig wollte er die Stunde wählen, in der es an ihm wäre, zuzuschlagen und das hochheilige Gleichgewicht
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