Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
der soeben über den Paß gekommen war. »Caolle ist ihm entgegengegangen. Unterwegs hat es irgendeine Verzögerung gegeben.«
»Keine Kopfjäger?« Dakar strich sich das Haar aus der Stirn und zuckte zusammen, als sich die verschorfte Wunde an seinem Handgelenk schmerzlich bemerkbar machte, während er verzweifelt gegen die Pein seiner überlasteten Muskulatur anfocht. Seine Stiefel hatten sich um seine Füße wie erkaltetes Eisen versteift, und um ihn herum hatte sich eine Wasserpfütze ausgebreitet.
»Sollten noch Feinde lauern, so konnten wir sie nicht finden. Diese Nacht ist wie das schwarze Herz Sithaers.« Der Kundschafter schälte sich aus seinem nassen Mantel und opferte den Streifen trockenen Linnens, das er bewahrt hatte, sein Schwert einzuhüllen, um die klaffende Wunde eines Schäferhundes zu verbinden.
Halb erfroren schüttelte Dakar die lähmende Müdigkeit ab, um den alten Mann um eine Decke zu bitten, die er anstelle seiner nassen Kleider um seinen Leib wickeln konnte, während das lautstarke Flattern der Zeltbahnen und das Knarren der Firststange von dem noch immer zunehmenden Wind kündeten. Als jedoch der alte Hirte hinausging, die Decke von einem Nachbarn zu leihen, verlor Dakar endgültig den Kampf gegen die eigene Erschöpfung. Der Schlaf übermannte ihn, und aus deplazierter Herzensgüte sah sich niemand gemüßigt, ihn zu wecken.
Er erwachte mit dem übelkeitserregenden Gefühl, daß irgend etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Es war, als regten sich fremde Mächte, eben jenseits der Grenzen seiner Wahrnehmungsfähigkeit, ähnlich den prophetischen Erschütterungen eines Traumes, dessen Bedeutung sich seinem Zugriff knapp entzog. Das erste aber, was er wieder bewußt wahrnahm, war Caolles Stimme, wie sie sich lautstark und unerwartet fröhlich ereiferte.
Jemand antwortete ihm lachend. Gleich darauf lösten sich unter den lebhaften Jubelschreien eines Kundschafters Wassertropfen von der Firststange, nur um direkt auf Dakars Gesicht zu landen. Prustend setzte er sich auf, quittierte die Schmerzen seiner steifen Glieder mit einem Stöhnen und blinzelte durch den Schleier vor seinen Augen. Erschrocken angesichts der späten Stunde stürmte er sodann unter der feuchten Wolldecke hinaus, welche die Türöffnung bedeckt hielt.
Anstelle der erhofften Wetterbesserung schlug ihm Kälte ins Gesicht. Sein Verstand war längst nicht wach genug, einen klaren Gedanken zu fassen. Gleißende Helligkeit blendete ihn. Er blinzelte, bis er schließlich zerfaserte Nebelschwaden, graue Felsen und abgestorbene, rauhreifbedeckte Farnwedel erkannte.
Die Dämmerung gehörte schon seit Stunden der Vergangenheit an, und ein Schäfer hatte sich widerrechtlich seines Umhangs bemächtigt.
Er wühlte sich unter den Ausdünstungen modernder Essensreste und Torfasche durch einen düsteren Stoffhaufen, bis er ein Kleidungsstück gefunden hatte, das er über seine zitternden Schultern ziehen konnte. Wie ein Otter, der aus dem Wasser in die Kälte hinaussprang, keuchte er: »Was ist geschehen? Wo ist Arithon?«
Caolle stand neben dem zersplitterten Eis unter einer Quelle und schlug sich die festgebackenen Graupel von seiner Ärmelstulpe, ehe er sich mit reifverkrusteten Augenbrauen dem Zelt zuwandte. »Habt Ihr denn die Neuigkeiten verschlafen? Jaelots Garnison hat endlich genug. An diesem Morgen haben sie ihr Lager abgebrochen. Während wir miteinander sprechen, ziehen die Kolonnen bereits gen Osten. Sie haben angefangen, ihre Truppen aus Vastmark abzuziehen.«
Als Dakar weiterhin in reglosem Schweigen verharrte, fügte er hinzu: »Keine Sorge wegen der anderen. Sie haben sich aus gutem Grunde verspätet, schließlich wollten wir sicher sein, daß die Gerüchte auch zutreffen.«
»Wo ist Arithon?« wiederholte Dakar.
Ein kläglicher, furchtsamer Unterton hatte sich in seine Stimme geschlichen und die Aufmerksamkeit des Kriegerhauptmanns erregt. »Warum fragt Ihr?« Die Hand am Heft seines Schwertes, trat er näher. »Seine Hoheit ist den Pfad hinuntergegangen. Er bat darum, eine Weile alleingelassen zu werden.« Mißtrauisch betrachtete er den zerzausten Zauberbanner. »Was, bei allen Dämonen, ist nun wieder los?«
Der Wahnsinnige Prophet ließ sich nicht aus seiner konzentrierten Betrachtung der Klippen ablenken, die auf sonderbare Weise aus dem Gleichgewicht geraten zu sein schienen; unter ihnen dichte Nebelschwaden, die sich wie gekämmte Wolle über die Täler legten; und über ihnen der Himmel,
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