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Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung

Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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bedeckt von dunklen, schweren Wolken. Der steile Felshang, an den sich die Zelte schmiegten wie festverwurzelte Flechten, schwand unter einem funkelnden Weiß dahin, überzogen von dem Frost, der Steine und Gräser mit einer ätherischen, gläsernen Schönheit umhüllte.
    In der schrecklichen Kälte brüllte Dakar plötzlich: »Caolle, ruft Eure Kundschafter! Sagt ihnen, sie sollen nach einem Meuchelmörder Ausschau halten.«
    Dann war er schon auf und davon, humpelte in größter Eile den schmalen Pfad hinunter, der sich den Berg hinunter wand. Hinter ihm wurde es laut. Rufe vermengten sich mit dem stählernen Klirren der Klingen, die hastig in feuchte Scheiden zurückgeschoben wurden. Clankrieger folgten ihm auf dem Fuße, verteilten sich alsbald und begannen, die Umgebung zu durchkämmen.
    Viel zu fett zum Rennen, glitt Dakar über eine Schieferplatte hinab, um sich eine Biegung des Pfades zu ersparen. Weiße Wolken kondensierter Atemluft entstiegen seinen Lippen, und die eisige Luft entlockte ihm ein jämmerliches Stöhnen. Doch es regnete nicht, wie er trotz seiner Verzweiflung erleichtert feststellte. Seine prophetische Vision hatte ihm Regen gezeigt, abgestorbene Farnwedel und flechtenüberzogene Felsbrocken, nicht aber einen nackten, ausgeschlämmten Felshang wie den, über den er wild mit den Armen rudernd in die Tiefe segelte.
    Der Pfad beschrieb eine Linkskurve. Unterhalb der Hügelkuppe zog er sich wie eine vielfach verknotete Kordel hinab in eine Schlucht, windgeschützt, von Grasbüscheln überwuchert zwischen denen deutlich die rostrot schimmernden Wedel abgestorbener Farne zu erkennen waren. Die Kälte großer Höhenlagen hatte dem Lebenszyklus der Pflanzen ein frühes Ende bereitet. Dakar keuchte entsetzt, als die Bedrohung sich schmerzlich in seinen Eingeweiden bemerkbar machte. Dies war die Stelle. Ohne es zu bemerken, war er in der vorangegangenen Nacht während der Dunkelheit bereits an ihr vorübergezogen.
    Dies war der Ort, an dem der Herr der Schatten nach seiner prophetischen Vision den Tod finden sollte.
    Und schon beim nächsten Atemzug zerschlug sich auch seine letzte Hoffnung. Dort stand der Prinz mit dem Rücken zu ihm, völlig vertieft in etwas, das sich weiter unten auf dem Pfad befinden mußte. Arithons Lederkleidung hatte durch die Unbilden des Wetters ihren Glanz verloren. Ein Band aus Rehleder hielt sein schwarzes Haar zusammen, das er seit dem Besuch am Hof zu Ostermere nicht mehr geschnitten hatte. An seiner Hüfte baumelte ein leerer Köcher, und der Eibenbogen, den er sich geliehen hatte, lehnte, noch bespannt, an einem porösen Felsvorsprung. In seiner Haltung lag jene gelöste, beneidenswerte Grazie, jene Gelassenheit, mit der er sich einst über den Sandstrand von Merior bewegt hatte.
    Dann störte das Prasseln herabfallender Steine seine Abgeschiedenheit. Aufgeschreckt wirbelte Arithon um die eigene Achse, doch die plötzliche Anspannung löste sich sogleich in einem freudigen Lächeln.
    »Dakar«, rief er. »Es ist vorbei. Das Heer marschiert gen Osten.«
    Selbst aus der Entfernung waren die Schatten auf seinen Zügen kaum zu übersehen. Noch prägten die Spuren der Abgehärmtheit, hinterlassen von schlaflosen Nächten und übermäßiger Anstrengung, sein Antlitz, wenngleich Tod, Gewalt und die mörderische Gefahr, die der Fluch Desh-Thieres über ihn brachte, mit jeder Minute, die vorüberging, weiter von ihm wichen. Und doch würde ihm möglicherweise keine Gelegenheit bleiben, sich der Tatsache zu erfreuen, unversehrt an Leib und Leben, ohne seine Integrität einzubüßen oder den Tod seiner Verbündeten aus den Sippschaften hinnehmen zu müssen, aus der Schlacht hervorgegangen zu sein.
    Fluchend rannte Dakar auf ihn zu.
    Die Zeit schien immer langsamer zu verlaufen, während seine Wahrnehmung jedes noch so kleine Detail erfaßte: wieder sah er die braunen Skelette der Farnwedel, fühlte die unheimliche Atmosphäre der Stille, nur einen halben Atemzug von der schrecklichen Tragödie entfernt.
    Dann schwand auch der letzte, winzige Hoffnungsschimmer, als der Himmel seine Pforten öffnete und die Wolken ihr Wasser über die Erde ergossen. Unausweichlich nahm auch die letzte Facette einer mehrere Monate zurückliegenden Vision den prophezeiten Platz im Lauf der Ereignisse ein. Noch zwei Schritte, und Arithon würde an der richtigen Stelle stehen, das Bild zu vervollständigen. Der Pfeil eines Meuchelmörders würde durch die Luft sausen und treffen, und all ihre

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