Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
dampfende Hinterteil seines Pferdes, zupfte ihn dann über seiner Schulter zurecht und schob den Fuß in den Steigbügel. Der Hengst schnaubte unter ihm. Geisterhaft verdrehte er die Augen, bis das Weiße zu sehen war, begierig, von dannen zu ziehen. Eisern hielt Asandir die Zügel des unruhigen Tieres, während er auf den blonden Sproß von königlichem Blute hinabblickte, dessen Erbanspruch die Bruderschaft nicht anerkennen durfte. »So wenig wie die unseren sich ungefragt in die Belange der Sterblichen einzumischen pflegen. Ihr erweist Euren Anhängern keinen guten Dienst, sie in ihrer falschen Auffassung zu bestärken.«
»Sollte ich denn lügen?« konterte Lysaer, dessen Aufmerksamkeit längst wieder den Bedürfnissen der Männer galt, die unter seiner Flagge dienten. »Die Menschen haben allen Grund, Zauberei zu fürchten, solange der Herr der Schatten frei ist, Angst und Schrecken in ihren Städten zu verbreiten und ihre Kameraden zu Tausenden auf dem Schlachtfeld niederzumetzeln.«
In dem betrüblichen Wissen, daß kein noch so vernünftiges Wort den unerschütterlichen Glauben durchdringen konnte, den Desh-Thieres Fluch diesem Prinzen auferlegt hatte, verzichtete Asandir darauf, näher auf die Aussage des Prinzen einzugehen. Dennoch konnte er sich eine Frage nicht verkneifen. »Würdet Ihr einen Verbrecher aburteilen, ohne beide Seiten der Tragödie zu kennen? Ich werde Euch mit der Aufforderung verlassen, daß Ihr die Verbündeten Eures Halbbruders nach ihrer Sicht der Dinge befragt.«
»Das werde ich, wenn Ihr ihn in Ketten meiner Gerechtigkeit ausliefert«, konterte Lysaer.
Doch der Zauberer hatte seinem Pferd längst die Sporen gegeben, und der Hengst preschte voran wie eine Erscheinung der Nacht, gewirkt aus Schatten vor dem Hintergrund schwer arbeitender Menschen und endloser Niederschläge. Diener und Knappen, die damit beschäftigt waren, Zelte abzubauen oder bis auf die Knochen abgemagerte Maultiere zu beladen, flüchteten voller Unbehagen vor dem finsteren Reiter, und nicht wenige zeigten großen Respekt vor ihm. Eine Kriegerbraut in schmutzigen Kleidern machte einen tiefen Knicks, weit ehrerbietiger, als sie es gegenüber einem König getan hätte.
Asandir zügelte sein Pferd, und seine sanfte, freundliche Bitte, ihm doch dergestalte Schmeichelei zu ersparen, zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, so strahlend wie der junge Morgen.
Niemand der Umstehenden kam umhin, des Zauberers sorgsamen Umgang mit allen noch so kleinen Begebenheiten anzuerkennen. Die Tatsache aber, daß seine Bruderschaft bereits zweimal Arithons Botschaften überbracht hatte, erfüllte die Menschen mit stetig wachsendem, verborgenem Unbehagen.
Lysaer unterdrückte den aufflackernden Zorn.
Allein, ohne Unterstützung, stand er inmitten seiner zerstörten Hoffnungen und kämpfte gegen die Verzweiflung an, als der stete graue Regen sich gemeinsam mit den unsäglichen Verlusten auf sein Herz niedersenkte. Die Schmach der Niederlage im Dier Kenton-Tal würde für den Rest seines Lebens auf ihm lasten. Seinem Herzen schmerzlich nahe folgte nun der erbärmlichen Entfremdung von Talith die traurige Pflicht, heimzukehren, um ihr die Nachricht vom Tode ihres Bruders zu bringen, im Kampf getötet von den Barbaren.
Und noch über sein Leben hinaus würde diese Schande unauslöschlich fortbestehen, niedergeschrieben in den Geschichtsaufzeichnungen des Dritten Zeitalters.
Tausende geringerer Sorgen umgaben ihn nun. Soldaten, die im Vertrauen auf ihn ausgezogen waren, Gerechtigkeit zu fordern, schleppten sich nun gesenkten Hauptes durch eiskalte Pfützen und bauten das Lager ab. Ihre Gesichter waren vom Hunger ausgezehrt. Wenn sie auch noch immer treu ihren Pflichten nachkamen, so klangen ihre Stimmen doch traurig, wenn sie nicht über ihre heißersehnte Heimkehr sprachen. Unter den kahlen Pfosten einer Feldküche warteten die Verwundeten und Kranken darauf, sich auf Tragen zu den Wagen bringen zu lassen, während sich Lordkommandant Harradene in einem Zelt ganz in der Nähe mit betrübter Stimme mit anderen Offizieren beriet, wie sie mit der unvermeidlichen Epidemie verfahren sollten, die sich in den Reihen ausbreiten mußte, würde das Wetter noch schlechter werden.
Aus Schmerz entwickelte sich Zorn, waren doch all die tapferen Bemühungen der Heere dreier Königreiche umsonst gewesen.
Zerrüttet von den Auswirkungen der unerbittlichen Heimtücke seines Feindes, blieb Lysaer keine Wahl, als die bittere Niederlage von der Hand
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