Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
des Schattengebieters anzuerkennen. Dennoch war er viel zu sehr ein Prinz, es bei den Ereignissen in Vastmark zu belassen oder gar den Untergang dieses neuen Heeres als unanfechtbaren Sieg des Feindes hinzunehmen.
Frierend, trotz seines edlen Gewandes, befahl der Prinz seinem Pagen, er möge den Gardehauptmann Avenors herbeirufen. Dann wies er seinen Diener an, den Offizieren zu sagen, sie mögen noch eine Stunde warten, ehe sie sein Zelt abbrachen.
»Euer Hoheit«, murmelte der Diener voller Besorgnis angesichts der scharfen Miene, die sich noch immer auf den Zügen seines Prinzen zeigte.
In frisch gesäubertem Wappenrock, über dem eine trotz der widrigen Umstände noch immer glänzende Goldkette baumelte, trat der Hauptmann der königlichen Garde zu seinem Prinzen. Sein blasses, kantiges Gesicht zeigte einen starren Ausdruck bitterer Enttäuschung, als er vor seinen Gebieter trat, um seinen, wie er annahm, letzten Befehl entgegenzunehmen. »Mein Prinz, Eure Sache ist gerecht. Wir alle hätten Euch ausnahmslos die Treue gehalten, selbst wenn auch der letzte Mann in diesen Bergen sein Leben hätte lassen müssen.«
Lysaer wandte den Blick von den Nebelschwaden ab, die sich über die schroffen Klippen gelegt hatten. »Dieser Krieg ist noch nicht zu Ende. Keine Niederlage kann jemals endgültig sein. Doch es war mein Fehler, den Herrn der Schatten auf dem Boden zu stellen, den er selbst ausgewählt hat.«
Kein noch so großes Heer war imstande, jedes Loch, jeden Schlupfwinkel des Kontinents zu durchsuchen, so wenig wie eine Flotte Kriegsgaleeren jede kleine Bucht erkunden konnte.
»Wir haben verloren«, gestand Lysaer, »und es ist geschehen, weil ich das Unmögliche verlangt habe.«
»Kein Prinz hätte mehr tun können«, protestierte der Gardehauptmann, und der unermeßliche Stolz, den er angesichts der Tapferkeit seines Herrn empfand, trieb ihm die Tränen in die Augen.
Durch die Erkenntnis, sein Netz zu klein gewoben zu haben, zu neuem Tatendrang erwacht, schenkte ihm Lysaer ein Lächeln, das den Vergleich mit dem eines Bruderschaftszauberers gewiß nicht scheuen mußte. »Wir werden nach Avenor zurückkehren, doch nicht etwa, um das Geschehene einfach hinzunehmen, sondern um als herausragendes Beispiel für alle anderen Städte des Kontinents zu dienen. Wenn jeder Mann von dem Schicksal dieses Heeres erfährt, wenn jede Stadt die Gefahr erkennt, die unser Feind darstellt, und sich seinem verderblichen Einfluß verwehrt, so wird es bald kein Dach mehr geben, unter dem der Herr der Schatten noch eine Zuflucht finden kann. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, daß niemand auf Erden ihn noch unterstützen wird, wenn er das nächste Mal zuschlägt.«
Genau da lag die Antwort, daran konnte es für Lysaer keinen Zweifel geben, als er zusah, wie sein Hauptmann die müden Schultern spannte und hochaufgerichtet davonschritt, um seinen Männern mit neuerwachtem Kampfgeist zu Hilfe zu kommen.
Arithon s’Ffalenn würde keine Schlacht mehr gewinnen können, wenn es ihm nicht mehr möglich war, die Menschen in abgelegenen Siedlungen zu täuschen und so Verbündete um sich zu scharen.
Lysaer zog sich in sein Kommandozelt zurück und schickte seinen Pagen, den Sekretär herbeizurufen, ehe er über die möglichen Hindernisse nachdachte, die sich seinem großen Plan entgegenstellen mochten. Noch immer unterhielt Arithon eine beachtliche Zahl der Verbündeten, deren Macht er keinesfalls unterschätzen durfte: sowohl die Zauberer der Bruderschaft als auch die Eingeweihten Aths wichen nicht von ihrem Irrglauben ab, all der Mißbrauch der Schatten beruhe auf gänzlich unschuldigen Beweggründen. Sich gegen diese unheimlichen Kräfte und Mysterien zu stellen verlangte, den Einfluß der Eingeweihten und der Magier zu unterminieren oder gänzlich auszuschalten.
Um einen Feind zu vernichten, der über die bösen Mächte der Finsternis gebot, bedurfte es eines Heeres, das bereit war, um der Sache willen in den Tod zu gehen, einer Einheit, deren Glaube zu stark war, durch Aberglauben oder die Illusion des legendären Streitwagens des Dharkaron erschüttert zu werden.
Lysaer setzte sich auf das feuchte Samtkissen seines Stuhles. Die Fingerspitzen an die Schläfen gepreßt, runzelte er die Stirn, als die Logik ihm prachtvolle neue Wege wies. Einen Verbrecher zur Strecke zu bringen, der die Ängste der Männer manipulierte und als Waffe gegen sie zu benutzen verstand, erforderte Soldaten, die bereit waren, gegen die reine Essenz des
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