Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
Bösen zu Felde zu ziehen.
Lysaer erkannte bar jeden Zweifels, daß er mehr als nur der Prinz des Westens, mehr als der Herrscher von Avenor, mehr als der Erbe des alten königlichen Geschlechts von Tysan sein mußte, wollte er ein solches Heer in den Kampf führen.
Er mußte den Menschen aller Königreiche einen Anführer liefern, dessen Vorbild weit über die Grenzen von Fleisch und Blut hinausging. Nur dann würde er über genug Begeisterung verfügen, die Männer anzuspornen, sich selbst um ihres gemeinsamen Zieles willen zu opfern.
Seine Gabe des Lichtes begründete sein Geburtsrecht der Herrschaft, Daviens Fontäne hingegen verlieh ihm ein langes Leben. Wie sollte er etwas anderes sein als ein Diener der Unschuldigen, der mit all seiner Kraft danach strebte, das Land von der Böswilligkeit Arithons zu befreien?
Ein leises Hüsteln an seiner Seite lenkte des Prinzen Aufmerksamkeit auf seinen Sekretär, der neben ihm auf seine Anweisungen wartete. »Ich benötige ein Schreiben.« Ohne Umschweife griff er wieder auf befehlsgewohnten Ton zurück. »Eine Anforderung an meinen Rat, das Gold einzutreiben, das wir benötigen, die Brüder s’Brydion auszulösen, verfaßt in formeller Sprache.«
Der mausgraue, ausgemergelte Mann gab einen Laut der Überraschung von sich.
Aufmerksam und wohlwollend betrachtete ihn Lysaer. »Was hast du gedacht? Sollten die Männer denn zu glauben wagen, ich würde meine Verbündeten wegen eines Konflikts zwischen Familienbanden alten Adels im Stich lassen?«
»Manche mögen so denken, Euer Hoheit«, wisperte der Sekretär schüchtern.
»Nun, dann müssen wir sie eine andere Sichtweise lehren.« Getrieben von herrischer Leidenschaft sprang Lysaer auf. »Die Namen der Männer, die hier gekämpft haben, sollen unvergessen bleiben. Das Lösegeld für die Brüder s’Brydion wird aus meiner Schatzkammer bezahlt werden, und jeder Überlebende dieser Schlacht soll mein bevollmächtigter Botschafter sein. Wir, die wir überlebt haben, müssen von der Heimtücke und der bösen Zauberei berichten, die unsere Kameraden in die Vernichtung geführt hat. Unser Ziel ist nicht erreicht, solange sich nicht das ganze Land gegen den Herrn der Schatten erhoben hat. Und wenn erst alle Städte sich gegen ihn stellen, was kann dieser Weber dunkler Mächte dann noch erringen, wenn nicht Elend und Niederlage? Doch wir müssen gewissenhaft arbeiten. Solange noch nicht jedes Menschen Herz sich gegen seine Hinterlist verschlossen hat, kann unser Feind auch weiterhin Unheil säen.«
Als die Offiziere Anweisung erhielten, das königliche Zelt abzubauen, wurden sie gebeten, die Männer Avenors dazu zu bewegen, ihre Aufgabe singend zu bewältigen.
»Seid ihr das Vorbild für alle«, mahnte Lysaer. Noch immer war er ungebeugt und stolz wie zuvor, und in seiner Stimme war deutliche Begeisterung hörbar. »Wenn wir den Mut nicht sinken lassen, dann werden auch alle anderen sich ein Herz fassen.«
Bis schließlich die Nacht kalt und düster hereinbrach, hatte der Sekretär in den Überbleibseln des Lagers die Geschichte von dem Brief, den er für seinen Herrn hatte schreiben müssen, verbreitet. Lysaer selbst verlieh seinen ehrfurchtsvoll vorgetragenen Worten zusätzlich Gewicht, als er, geschmückt mit schimmerndem Gold und von einem lichten Nimbus, herbeigerufen durch seine Gabe, umgeben, durch die Reihen gewöhnlicher Soldaten spazierte. Wo auch immer er vorüberzog, ließ er eine gehobene Stimmung zurück. Erste hoffnungsvolle Gerüchte begannen ihren Siegeszug durch das Lager. Als später die standhaften Offiziere Avenors ihre Gardisten auf die Wachposten verwiesen, lautete ihre Parole: »Licht besiegt die Finsternis.« Und in den Gesprächen rund um die halb vom Regen ersäuften Feuerstellen, bedachten die Soldaten ihren Feind mit unfreundlichen Worten, wenn sie sich im Kampf gegen den grausamen Schmerz der Verzweiflung an immer der gleichen Litanei erwärmten: »Eines Tages wird der Weber der Finsternis durch Lysaer, den Prinzen des Lichtes, zu Fall kommen.«
Avenors strahlender Prinz hörte ihre Worte, fing die heimlichen, ehrfürchtigen Blicke auf, die die Diener in seine Richtung warfen, wann immer sie glaubten, er hätte ihnen den Rücken zugekehrt. Dies war der Augenblick, da er erkannte, daß die Toten des Dier Kenton-Tales das Fundament zu etwas weit Größerem bilden konnten. Schmach und Verluste sollten zu einem strahlenden Neubeginn umgeformt werden, wie die Männer, die zu ihm aufsahen, wohl
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