Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
schnappte Kharadmon unsichtbar am Fenster. »Zu welchem Preis auch immer, besteht doch ein hohes Risiko, daß uns nur ein Blutpfand bleibt, Athera vor dem totalen Untergang zu bewahren.«
Am Vorabend der Mittsommernacht lief die Armada aus Tysan, reich geschmückt mit unzähligen Flaggen und saphirfarbenen Bannern, unter den lauten Klängen der Trompeten im Hafen ein. Umgeben von Mauerseglern und weißen Möwen, die der Lärm aus ihren Nestern in den Höhlen der Klippen aufgescheucht hatte, legten die Schiffe an den Kais an. Voll bewaffnet, flankiert von Kriegsschiffen und mit wohlausgebildeten Truppen an Bord, vermittelte die königliche Galeere doch einen durchaus friedlichen Eindruck. Auch ging keiner ihrer Offiziere an Land, um Geschichten von Piraten auf hoher See zu verbreiten.
Da auch die prachtvolle Atmosphäre pompöser Etikette sein Mißtrauen nicht verscheuchen konnte, machte sich Luhaine auf, Nachforschungen anzustellen, und er brachte keine guten Nachrichten mit sich. »Lordkommandant Diegan weiß es nicht, sowenig wie irgendein anderer Offizier an Bord, aber die Schatztruhen auf dem Flaggschiff enthalten nicht eine einzige Münze, nur nasse Säcke voller Sand. Doch das wird nicht lange ein Geheimnis bleiben. Sobald die Matrosen der Leichterschiffe die erste Truhe von Bord bringen, werden sie merken, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist.«
König Eldir nahm sich der Herausforderung an, ehe es zum Skandal kommen konnte. Äußerst übellaunig wies er seinen Kammerdiener an, ihm beim Anlegen seiner Staatsrobe zur Hand zu gehen. Mit einem schriftlichen Ersuchen, in dem die ersten Offiziere Lysaers förmlich aufgefordert wurden, sich zu einer Audienz bei seiner Majestät von Havish einzufinden, schickte er seinen Seneschall zum Hafen hinunter.
Der Rat wurde in dem kleinen, holzverkleideten Raum abgehalten, den der Hafenmeister zur Unterbringung seiner Bücher nutzte. Der Geruch von getrockneter Tinte, modrigen Teppichen und Salzwasser erfüllte den Raum, dessen verglaste Fenster in dem grün schimmernden Schatten der wild wuchernden Weinranken außerhalb des Gebäudes lagen. Auf den Mauersimsen nisteten Dohlen, und das verschlafene Gezwitscher der kaum flüggen Jungvögel vermengte sich mit dem Kreischen der Stuhlbeine, als die Männer in ihren für die Jahreszeit viel zu warmen Kleidern ungeduldig auf ihren Stühlen umherrutschten.
Kaum so duldsam wie ein Mastiff mit Maulkorb saß König Eldir der Versammlung vor. Seinem Kanzler und seinem Justitiar war diese Stimmung aus dem ersten Jahr seiner Regentschaft noch wohlvertraut, als er sich, ein Bursche von gerade achtzehn Lenzen, dem Rat und all den boshaften Statthaltern gestellt hatte. »Ihr werdet mir berichten, ob sich auf Eurer Reise entlang meiner Küstenlinie irgend etwas Außergewöhnliches zugetragen hat.«
Den schmalen Kopf zur Seite gelegt wie ein Reiher auf Fischfang, blinzelte der Erste Kapitän der Flotte verwundert. »Euer Hoheit, da gibt es nichts zu berichten, außer …« Sein Zögern erschütterte die Stille wie ein plötzlicher Schluckauf. »Außer der manövrierunfähigen Fischerschmacke. Sie trieb mit gehißter Seenotflagge auf dem offenen Meer. Wir sind an Bord gegangen und haben sie ins Schlepptau genommen, da die Mannschaft das Schiff verlassen hatte, der Rumpf war noch dicht, nur die Takelage hatte Sturmschäden davongetragen. Wir haben sie den Inselbewohnern südlich von Torwent verkauft.«
»Wie lange lag sie in Eurem Schlepptau?« fragte der Justitiar mit seiner rauhen Baßstimme.
»Drei Tage«, lautete die verwunderte Entgegnung. »Das Boot war gänzlich bedeutungslos.« Der Galeerenkapitän strich sich über den Bart, während er sich bemühte, sich die Details ins Gedächtnis zu rufen. »Sechsundzwanzig Münzgewichte, mehr war sie nicht wert. Bei den Pferden Dharkarons, ihre Planken waren halb eingerissen. Wir waren froh, als wir sie endlich wieder los waren. Sollten sich ihre Eigner beklagen, so haben wir doch ein reines Gewissen. Es war unser Recht, sie zu bergen, und wir haben genug Zeugen, die bestätigen werden, daß sie verlassen war.«
»Niemand zweifelt an Eurer Integrität«, versicherte ihm Eldir.
Er erhob sich. In seinem hochherrschaftlichen Putz war er prachtvoll anzusehen, als er, zornig genug, in mörderisch bissigen Ton zu verfallen, Arithon s’Ffalenn aufforderte, sich zu zeigen.
Zierlich wie feiner Stahl vor einer Streitaxt, verbeugte sich der Herr der Schatten. Als er über die Fischerschmacke
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