Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
habe ich gehört«, schnappte Jinesse. »Handelsgaleeren stellen keine Mädchen in ihre Dienste. Ihre Körper sind zu schwach zum Rudern.«
»Galeeren!« Feylind spuckte angewidert aus. »So ein Einfaltspinsel bin ich nicht. Im Segeln liegt die Zukunft.« Doch es hatte wenig Sinn, ihrer Mutter zu erklären, daß Schiffe mit mehr Tiefgang schnellere und sicherere Fahrt ermöglichten, wurde ihre Bauweise mit dem neu errungenen Wissen über die Navigation verknüpft. Sie würde ihr so oder so nicht zuhören.
Erneut von dem Schmerz wegen ihrer zerstörten Träume ergriffen, blies das Mädchen sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hob die Stimme an zu einem laut vorgetragenen Lied. Sie sang ein Matrosenlied, herb und unanständig, das sie an den Docks von Southshire gelernt hatte, während die Khetienn ohne Mast vor Anker gelegen hatte.
Jinesse schleuderte wilde Zwiebeln in den Topf, die Lippen in einem Ausdruck gnadenloser Entschlossenheit zusammengepreßt. »Sei still, Feylind!«
Doch sie war nicht nachdrücklich genug. Von den steten Kämpfen mit ihrer eigensinnigen Tochter erschöpft, warf sie Tharrick einen verschämten Blick zu. Feylind sah es und sang noch lauter, klug genug zu ahnen, daß dieser Appell an seine Strenge das Zartgefühl des ehemaligen Gardisten erschüttern würde.
»Derartiger Katzenjammer wird dir nur die Kehle rauh werden lassen«, spottete Tharrick, dem das Mädchen tief im Herzen leid tat. »Wenn du dich dann besser fühlst, dann mach weiter, bis du dich heiser gegrölt hast. Am Ende mußt du doch erschöpft aufgeben.«
Gequält zog Jinesse die Schultern hoch und rührte mit einem entrindeten Stock in der Hafersuppe herum, während ihre Tochter siebzehn endlos lange Balladen zum Besten gab. Niemand dachte daran, daß dieser Lärm Aufmerksamkeit erregen mochte.
Das Abendessen war eine traurige Angelegenheit, und Feylind lag den größten Teil der Nacht über wach und weinte. Als die Morgendämmerung heraufzog, erklärte Tharrick, daß sie das Hügelland in drei Tagen hinter sich lassen und auf die Handelsstraße stoßen würden. Das Mädchen hörte seine Worte und nahm die Gelegenheit zu einem erneuten Fluchtversuche wahr.
Wie ein Hase bewegte sie sich durchs Unterholz. Hals über Kopf nahm Tharrick die Verfolgung auf, duckte sich in Wildpfade, riß sich an den Zweigen die Haut auf und kämpfte tapfer gegen das grüne Dickicht an. Als er den Mund zu einem Fluch öffnete, schluckte er sogleich unzählige Tannennadeln. Sein Bogen blieb an einem Ast hängen und hätte ihn beinahe von den Füßen gerissen. Erhitzt und zornig entledigte er sich erst des Bogens und dann des Köchers voller Pfeile, der bei jedem Schritt gegen seine Hüften schlug.
Das Verdammungswürdigste an dieser morgendlichen Jagd war die traurige Wahrheit, daß ihm keine andere Wahl blieb, als das Mädchen wieder einzufangen. Hundertfünfzig Wegestunden verlassener Küstengegend trennten sie von Arithons Außenposten auf den Cascaininseln, und kein Kind konnte eine solche Reise allein überstehen. Aber selbst, wenn es ihr gelingen würde, einen erwachsenen Führer zu finden, waren die Siedlungen an der Küste nicht dauerhaft bewohnt. Wie die Dinge standen, würden sie gerade jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach leerstehen. Allzu viele Schiffe unter feindlicher Flagge steuerten derzeit suchend die Inseln an, wenngleich Arithon s’Ffalenn gewiß nicht so dumm war, für übermäßig lange Zeit an einem Ort Wurzeln zu schlagen.
Tharrick hetzte eine felsige Senke hinab und folgte ihrem gewundenen Verlauf zu einer Lichtung. Vor ihm kündeten zerbrechende Äste von Feylinds atemloser Flucht über die freie Fläche.
Er rief ihren Namen.
Nur ein anmaßendes Pfeifen antwortete ihm, und er erkannte den durchdringenden Klang jenes Signals, das Arithon den Zwillingen am Vorabend seiner Abreise beigebracht hatte.
»Bei der Gnade Aths, so nimm doch Vernunft an!« Tharrick stolperte über eine Kante im Schiefergestein und hätte sich beinahe den Fuß verstaucht, nur um sich gleich darauf wie zum Trotz die Handfläche an einer Dornenranke aufzureißen, als er mühsam um sein Gleichgewicht kämpfte. »Mädchen, hör auf mich. In dieser Wildnis gibt es nichts und niemanden, der dich zu Prinz Arithon zurückbringen kann!«
»Tatsächlich?« sprach eine fremde Stimme seinen Worten Hohn.
Tharrick riß seine blutende Hand zurück und warf einen erschrockenen Blick voraus. Mehrere Bogenschützen in fleckiger Wildlederkleidung
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