Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
in der Welt jenseits des Westtores gespielt hatte, in der er geboren worden war.
Allein Diegan ließ sich nicht täuschen. Hinter den kühl blickenden blauen Augen tobte der königliche Zorn wie ein entfesselter Gewittersturm.
Die Rückschläge in Talkluft und der Minderlbucht hatten ihm eine harte und unmißverständliche Lektion erteilt, und die Jahreszeit, die einen Feldzug gestattete, zog vorüber, genau, wie es der Herr der Schatten beabsichtigt hatte.
Mitten hinein in diese klebrigen Waben bösartiger Arglist, in ein Gewebe der Staatskunst, das einem Netzwerk weitreichenderer Strategien zu unterliegen drohte, platzte Asandir aus der Bruderschaft der Sieben mit Neuigkeiten vom königlichen Hofe zu Ostermere. Seine Ankunft versetzte die Stadt, die das Auftreten lebender Legenden nicht gewohnt war, in helle Aufregung, als er mit dem Wahnsinnigen Propheten an seiner Seite, den Arithon zu seinem Sprecher bestimmt hatte, ungerührt durch die Straßen wandelte.
In dem luftigen Gemach, zu dem sie von zitternden Dienern geleitet worden waren, verbeugte sich Dakar vor dem Halbbruder königlicher Herkunft, dessen Gesellschaft weit mehr nach seinem Geschmack war. »Euer Hoheit von Avenor, ich bringe erfreuliche Kunde.« Lächelnd, vollkommen nüchtern und fein ausstaffiert mit seinen edelsten Kleidern aus braunem Wollstoff, richtete er sich auf. »Die letzte Truhe Eures Goldes liegt sicher in König Eldirs Schatzkammer. Endlich ist die Stunde gekommen, Euch Eure Prinzessin zurückzugeben.«
Umrahmt von dem hellen Sonnenlicht, das zum Fenster hereinströmte, senkte Lysaer seinen Kopf. Er erinnerte an eine sonnenbeschienene Statue oder die reglose Gestalt eines Weißen Wächters aus Athlieria, der gekommen war, die Stunde der Schöpfung zu besingen.
»Ath sei gesegnet!« Der Bann war gebrochen. Mit einem leisen Seufzer betrachtete Lysaer die beiden bebänderten Stabpuppen, die er zur Belustigung der kleinen Tochter des Statthalters von Cheivalt in Händen hielt. Seine attraktiven Züge jedoch zeigten sich in unverminderter Härte, als erwartete er, die bemalten Puppengesichter könnten sich wider jede Vernunft gegen ihn wenden und einen Fluch über ihn aussprechen; als wäre er Nacht um Nacht von Alpträumen heimgesucht worden, in denen er die gleichen Worte gehört hatte, nur um beim Erwachen erneut der grausamen Wahrheit zu begegnen.
Und doch wurde ihm die unheimliche Präsenz des Bruderschaftsmagiers in Dakars Gesellschaft zum Beweis für die Realität des Augenblicks. Die Ehrfurcht des Mädchens, das mit weit offenstehendem Mund erstarrt zu sein schien, ehe es der machtvollen Ausstrahlung des Zauberers hinter die intarsiengezierten Möbel entflüchtete, war kein Traum.
»Mein Prinz«, murmelte Lordkommandant Diegan, irgendwo von der Seite, »gestattet mir, hinauszugehen und Euer Gefolge zum Sammeln zu rufen.« Die Truhen höfischen Putzes, die Banner wie die übrige Ausstattung der königlichen Galeere wurden längst bereitgehalten. »Ihr könnt ohne Umwege an den Docks zu uns stoßen, und wir werden innerhalb von einer halben Stunde die Anker lichten können.« Mit dem nötigen Druck konnten die Ruderer in Schichten arbeiten und ihren Prinzen binnen zwei Tagen gen Ostermere im Norden befördern.
»Postpferde und ein nächtlicher Ritt wären schneller«, platzte Dakar heraus, als die Bande der Vergangenheit sich in einer Woge gedankenloser Sympathie Ausdruck verschafften.
»Ich weiß«, sagte Prinz Lysaer mit beschämender Geduld. »Aber mein Gefolge könnte niemals Schritt halten.«
Langsam wurde er wieder munter. Die Bänder der Stabpuppen hatten sich unter dem nervösen Spiel seiner Finger ineinander verwickelt, bis die lustigen Figuren unentrinnbar aneinander gefesselt waren. Vorsichtig ordnete Lysaer die Bänder wieder, ehe er die Puppen dem kleinen Mädchen, das, noch immer verschüchtert, neben seinem Stuhl kauerte, mit ernster Miene in die Hände drückte. »Es tut mir leid, kleine Fee, doch ich muß Cheivalt verlassen. Hol doch bitte deine Mutter und deinen Vater her. Ich schulde ihnen Dank für ihre Gastfreundschaft.«
Er tätschelte dem Kind den Kopf, und es sauste eilends davon. Nicht länger von der Empfindung des Augenblicks überwältigt, blickte Lysaer s’Ilessid auf und zollte dem Wahnsinnigen Propheten die Anerkennung, die dieser von dem Freund, den er neun lange Jahre vermißt hatte, sehnlichst erhoffte.
Die königlichen Züge waren nicht mehr so heiter wie einst, und die makellose Haut
Weitere Kostenlose Bücher