Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
lautete, gar nichts zu tun und Athera den Gefahren zu überlassen, die Arithons verwirrter Geist, von Desh-Thieres Fluch zu unkalkulierbaren Ausmaßen aufgepeitscht, über das Land bringen mochte.
Dakar schloß das Fenster und beugte sich über die zusammengerollte Gestalt zu seinen Füßen. Er sammelte seine Konzentration in den magischen Bereichen seiner Wahrnehmung, ehe er einen sachten Blick hinter den Schleier der Bewußtlosigkeit warf. Seine Mühen ertranken in samtenen Lagen absoluter Finsternis. Er fühlte sich den Schatten hilflos ausgeliefert. Die oberflächlichen Strömungen von Arithons Geist waren vollkommen leer, ohne jede Reflexion und so reglos wie die Oberfläche eines Sees bei absoluter Windstille.
Dakar richtete sich wieder auf und öffnete seine Augen. Angesichts der Umstände zu einer unliebsamen Entscheidung gezwungen, verfluchte er Daelion, den Herrn des Schicksals, daß er mit einer derart harten Nuß, einer so überwältigenden Krise alleingelassen wurde. Da sich die Khetienn auf hoher See befand, konnte er nicht einmal eine Kräuterhexe beauftragen, ihm Talismane zu seinem Schutz anzufertigen. Und wenn auch die Salzwassermassen unter dem Kiel des Schiffes dazu beitragen würden, die schutzlosen Seeleute vor den Auswirkungen seines Tuns abzuschirmen, war ihm auch das nur ein schwacher Trost. Er wollte verdammt sein, ehe er eine tiefere Erkundungstour auf sich nahm, solange er unter dem Kartentisch kauerte und der Seegang ihn durchrüttelte. Da aber Arithon so zierlich gebaut war, daß sein Gewicht auch für einen fetten Mann keine übermäßige Belastung darstellen sollte, versuchte Dakar, ihn auf seine Schultern zu hieven, mit dem Effekt, daß er den Herrn der Schatten schließlich überwiegend über die Planken zerrte.
Die unruhige Bewegung ließ einen Hauch der Spannung im Leib des bewußtlosen Mannes aufflackern, und seine Lippen bewegten sich zu einem flehentlichen Flüstern: »Sind sie jetzt in Sicherheit?«
Ein statisches Aufflammen magischer Wahrnehmung besiegelte den Kontakt zwischen ihnen: irgendein Kanal, der noch von der Verbindung geblieben war, die sie für den fehlgeschlagenen Heilungsversuch in Vastmark eingegangen waren, wurde durch den Einfluß des Tienellekrautes zu neuem Leben erweckt. Aus Arithons Geist fing der Wahnsinnige Prophet die zerfetzten Bilder brennender Bäume auf. Und vor dieser weißglühenden Hitze wichen schreiend schwertbewehrte Gestalten zurück, eingefangen in einem lichtverzerrten, verzweifelten Kampf, dessen Ausgang tödlich war.
Übelkeit machte sich in Dakars Bauch breit. Er wußte, was er sah: Es waren Erinnerungen, die in Arithons Geist wiederauferstanden waren, Erinnerungen an den Krieg, der am Ufer des Flusses Tal Quorin achttausend Menschenleben gefordert hatte. Das schwarze Nichts, auf das er bei seinem ersten Versuch gestoßen war, war nichts anderes gewesen als das schützende Gewebe, mit dem der Herr der Schatten vor neun Jahren die Vorgänge im Strakewald bedeckt und die lodernden Flammen erstickt hatte, die aus Lysaers Gabe des Lichtes hervorgegangen waren.
Von Grauen überwältigt, rollte Dakar seine erschlaffte Last auf die weiche Unterlage auf der Koje. Die Visionen, die das Tienellekraut ihm beschert hatte, hatten seine Wahrnehmung nicht über die Grenzen seiner selbst hinausgeführt. Statt dessen war er in den erinnerten Geschehnissen gefangen, von seinem eigenen Mitgefühl verdammt und unfähig, sich von der Last des s’Ffalennschen Gewissens zu erleichtern, nun da all sein Erleben sich nach innen verkehrt hatte und ihn zu zerstören drohte.
Dakar setzte sich und legte den schweißnassen Kopf des Prinzen in seinen Schoß. Nerven, von deren Existenz er nicht einmal etwas geahnt hatte, schauderten angstvoll zurück, als er sein Selbst ausbalancierte. In diesem Augenblick der Schwebe gab es nichts, was ihm den besten Weg weisen konnte, sein Vorhaben zu beginnen. Mit einem letzten furchtsamen Wimmern strich er über das schwarze, feuchte Haar und schloß die Augen. Dann ließ er seine Aufmerksamkeit vollends zur Ruhe kommen, um sich gleich darauf in die zerklüfteten Tiefen des Geistes unter seinen Händen fallen zu lassen.
Das letzte, woran er sich erinnerte, war ein Schrei, schrecklich genug, die Planken der Khetienn bersten zu lassen; möglicherweise sein eigener. Entsetzen umfing ihn, schlimmer als der schrecklichste Alptraum, denn die Qualen, die er in der Verbindung mit dem Herrn der Schatten erleiden mußte, waren so real
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