Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
zu dauern schienen.
»Hast du seit heute morgen irgend etwas gegessen?« fragte Dakar, als das trockene Würgen sich soweit gelegt hatte, daß Arithon des Sprechens wieder fähig war.
Zitternd und vollkommen erschöpft, sammelte Arithon all seine verbliebene Kraft, Sprache zu formulieren. »Frag Caolle. Er war mir eine aufopferungsvolle Amme.« Er war nicht einmal mehr in der Lage, seinem Ton die gewohnte Schärfe zu verleihen.
Mit überbeanspruchten Nerven dank seiner hellseherischen Gabe wohlvertraut, kannte Dakar derartige Pein nur allzugut. Das Zittern, das den Mann befallen hatte, würde nicht aufhören, ehe er nicht in einem Zustand totaler Schwäche kollabierte.
Ratlos und verunsichert, erkannte er erst spät, wie es tatsächlich um den Prinzen stand: Arithon hatte sich unter seinen Händen in einem Labyrinth der Trauer verloren, und der Schmerz seiner Seele, die Grausamkeiten nicht gewachsen war, suchte Linderung in krampfhaftem Schluchzen und hemmungslos fließenden Tränen.
»Denk an die Vierzigtausend«, murmelte der Wahnsinnige Prophet, als trüge er eine Litanei vor. »Denk an all jene, die du möglicherweise gerettet hast.«
Der Wind trug die Worte hinfort, denen eine unbarmherzige Wahrheit jede Bedeutung raubte: Logik, Moral, Gerechtigkeit oder die Leistung des Verstandes, all das hatte dem Stich der s’Ffalennschen Barmherzigkeit nichts entgegenzusetzen. Und plötzlich erkannte Dakar jenseits ohnmächtigen Zorns, ergriffen von ungewohntem Schmerz, daß er keineswegs hilflos war.
Er bat Arithon um Einwilligung, die ihm mit rauhem Ton gewährt wurde, nicht ohne ihn bar jeden Zweifels wissen zu lassen, daß jeder andere angesichts einer solchen Einmischung von der Klippe gejagt worden wäre.
Sein ungeübter Zauber tiefen Schlafes benötigte einige Zeit, Wirkung zu zeigen. Aber als das schreckliche, reuevolle Schluchzen endlich verstummte, rutschte der Wahnsinnige Prophet mit den Knien über schroffen Stein und hielt einen Prinzen, den jemals zu bedauern er nie erwartet hatte, wie einen Bruder in seinen Armen geborgen.
Die zarten Hände, die Lysaers Truppen eine so schreckliche Lektion erteilt hatten, lagen kraftlos in tiefem Schlaf, waren für eine kurze Weile in vollkommenen Frieden gehüllt.
Allein unter dem Sternenhimmel senkte Dakar seinen zerzausten Kopf trauernd an Arithons Schulter. Kaum war er imstande, um die vergeudeten Leben zu weinen, hielt ihn doch eine Tragik gefangen, die weit über sie hinausging. Desh-Thieres Übel waren nicht beendet. Wie kein anderer wußte er, daß die Bürde des Schreckens bis ans Ende seiner Tage auf dem Mann lasten würde, der in seinen Armen einen magischen Schlaf schlief; nicht einmal dann, wenn in den beschatteten Niederungen des Dier Kenton-Tales vierzigtausend andere fehlgeleitete Soldaten den Krieg hinter sich ließen, um lebend zu ihren Familien zurückzukehren.
Das Feld der Dornen
Über Haven brach ein neuer Tag an, begleitet von den Schreien aasfressender Wyverns, die zankend über die von einem gnädigen Nebel den Blicken vorenthaltenen Riffe flogen. Im Lager oberhalb der Klippen herrschte reges Treiben. Clankundschafter versorgten die benommenen Überlebenden aus Lysaers geschrumpften Kompanien mit Nahrung, ehe sie sie, gut verschnürt und bewacht, in das bergige Land führten.
Der Knabe mit dem geschienten Bruch schniefte noch immer, und einer seiner Mitgefangenen versuchte, ihn mit leisem Tadel aufzumuntern. »Bursche, wenn diese Barbaren vorhätten, uns in der nächsten Stunde aufzuschlitzen, hätten sie sich kaum die Mühe gemacht, ihr Brot mit uns zu teilen. Also beruhige dich und sei tapfer.«
Die etwas stoischeren, erfahreneren unter den Gefangenen hatten ihre Nerven besser im Griff, doch auch unter ihnen war mancher dankbar für jede schnell dahin gesagte Platitüde. Zwischen unsicheren Blicken zu den Clankriegern, die sich tüchtig und energisch ihren Pflichten widmeten, sahen sie zu, wie der schwarzhaarige Heiler, dessen Wort sie vor dem Gemetzel am Strand gerettet hatte, in Begleitung eines zerzausten fetten Mannes zurückkehrte.
Die Jacke mit den Grasflecken, die er noch am Vortag getragen hatte, war einer sauberen Tunika gewichen, deren erdbraune Farbe mit der der groben Flechten am Boden verschmolz. Leise, zu leise, belauscht zu werden, sprach er mit den Bogenschützen, deren stämmige Figuren einen krassen Kontrast zu seinem schlanken Körper bildeten. Der Umhang, den er trug, war aus schlichter, grober Wolle, und er
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