Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
Schultern, um die Last seines Kettenhemdes und des vollgesogenen Unterhemdes zu verlagern, griff erneut nach den Zügeln und setzte einen Fuß in den Steigbügel. »Du kannst mir ebensogut im Sattel berichten.«
Stallburschen sprangen hastig zur Seite, als die beiden Männer zur Umzäunung hinaus und an dem äußeren Wachring vorbei hinaus in die regnerische Dunkelheit ritten und der Kundschafter einen groben Bericht lieferte: In Haven hatte ein Zusammenstoß mit dem Herrn der Schatten fünfhundert Menschenleben gefordert. Nun stand ein Chaos bevor. Die fünfundzwanzig Überlebenden, die jenseits der Lagerstätten von einer vier Mann starken Patrouille festgehalten wurden, der sie in die Arme gelaufen waren, als sie den Hang hinunter auf die Lichter und Feuerstellen zugestolpert waren, drohten, schreckliches Entsetzen unter den Soldaten zu verbreiten.
»Sie behaupten, die getreuen Clankrieger des Feindes hätten sie von der Küste hergeführt«, erzählte der Kundschafter, als sie den letzten, von tropfnassen Farnen bewachsenen Felsvorsprung umrundeten. Hier sollten sie auf die verwundeten Männer aus Haven treffen, die sich, im steten Regen kaum mehr als ein verschwommenes Durcheinander blasser Hände und konturloser Gesichter, in den mangelnden Schutz eines überhängenden Felsens kauerten.
Lord Diegan zügelte sein Pferd, stieg aus dem Sattel und sagte: »Warte hier.« Wie selbstverständlich davon ausgehend, daß der Kundschafter sich die Zügel seines müden Rosses schnappen würde, schritt er über den lockeren Kiesboden zu dem kleinen Unterstand. Das Klirren seiner Sporen brachte Bewegung in den jämmerlichen Flüchtlingshaufen. Rasch umringten sie ihn wie neugierige Schüler.
Ein älterer Hauptmann mit dem typischen Akzent des Nordens stellte sich als der Sprecher der Männer vor. Die Anerkennung des hohen Ranges des Lordkommandanten ließ den Mann respektvoll zögern, und aus einem Morast, irgendwo am Fuß des Hanges, hallte der nächtliche Schrei eines Reihers zu ihnen empor.
»Man sagte mir, ihr wäret vom Herrn der Schatten angegriffen worden«, begann Lord Diegan, ehe er den Mann aufforderte, ihm zu erzählen, was geschehen war.
Vom ersten Wort an schien die Nacht um sie herum kälter zu werden. Sein Puls raste, und eine Gänsehaut bedeckte den Körper des Kommandanten von Lysaers Heer, als die Männer, die in der Dunkelheit kaum zu sehen waren, von der Falle an den Klippen erzählten, von dem unbarmherzigen Tod, den niedergehenden Pfeilen, dem Feuer. Und in den Stimmen schwang der gemarterte Ton der allzu frischen Erinnerung mit: all die unterdrückte, sinnlose Wut der Männer, die zugesehen hatten, wie ihre Kameraden gestorben waren, die ihr eigenes Recht, noch am Leben zu sein, in Frage stellten. Verkrampfte Hände, leise Flüche, die heißen Tränen des Knaben mit dem gebrochenen Arm, all das ließ den Schrecken in ihren Gedanken wieder aufleben.
Lord Diegan starrte in den regengrauen Schatten hinein, und er sah erneut das Bild eines anderen überschwemmten Schlachtfeldes, sah den schlammigen, schmutzigen Tod an den Ufern des Tal Quorin im Strakewald.
»Was dort geschehen ist, war kein Kampf, sondern eine sorgfältig geplante Exekution«, schloß der Veteran. »Was für ein Glück, daß wir Euch so schnell gefunden haben, gnädiger Herr. Denn wir durften nur überleben, um dem Prinzen Lysaer eine letzte Warnung zu überbringen. Der Herr der Schatten hat auf unser Blut geschworen, daß das, was in Haven geschehen ist, kein Zufall war, und er hat gelobt, daß wir in unser Verderben laufen, sollte das Heer aufmarschieren, ihn in Vastmark zu stellen.«
»Das sind gewiß schwerwiegende Neuigkeiten«, stimmte Lord Diegan zu. Er war viel zu weltgewandt, sich den Zorn anmerken zu lassen, der in ihm brodelte. »Bevor wir unsere nächsten Schritte planen, möchte ich einen schriftlichen Bericht. Ein Schreiber wird zu euch kommen und eure Aussagen unter Zeugen mit meinem Siegel niederschreiben. Ich werde so schnell wie möglich Wachen, ein Zelt, Nahrung und Decken schicken. Alles weitere muß bis zum Morgen warten, denn der Prinz hat sich bereits zur Nachtruhe zurückgezogen.«
In all der Not kurz angebunden, verabschiedete sich Diegan.
Er kletterte den Hang hinauf und watete durch die naß glänzenden Farnbüschel zu der Stelle zurück, an der der Kundschafter mit seinem Pferd wartete. Sorgsam darauf bedacht, leise zu sprechen, sagte er: »Sind die anderen Männer in deiner Patrouille
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