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Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung

Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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Charakter von jedem noch so kleinen Makel zu reinigen.
    Lirendas Lehrzeit war noch lange nicht beendet. Die Visionen wiesen deutlich den Weg zu all den Schwächen, die noch bezwungen werden mußten. Methodisch verfolgte Morriel jede einzelne: die kleinen, verborgenen Wünsche, die sich hinter ihrem morgigen unvollkommenen Umgang mit dem Streit zweier Novizinnen versteckten; dann die jährliche Unterbringung der Pagenjungen bei den Lehrherren des Handwerks, in deren Auswahl noch immer jene sture Behaftung mit den Vorurteilen ihrer eigenen privilegierten Kindheit offenkundig wurde. Der Neid auf die Bruderschaft angesichts ihrer sicheren Beherrschung der Großen Beschwörung würde einer kritischen Unachtsamkeit den Weg öffnen. Und wie eine Laufmasche in Wirkware mußte dieser Augenblick später zu einem fehlerhaften Verständnis eines untergeordneten Siegels führen, das eines Tages im Kampf gegen ein Gebrechen versagen würde, das zu Totgeburten führte.
    Zu jeder Unzulänglichkeit vermerkte Morriel die passende Lektion, die notwendige Korrektur in der Entwicklung der Ersten vorzunehmen. Bis ins Detail schaffte sie sich Kenntnis über die Siegel, die sie brauchen würde, einen subtilen Einfluß zu wirken, der die letzten Kanten der Selbstwahrnehmung Lirendas zügeln, neu anordnen und am Ende gereinigt wieder entlassen würde.
    Schließlich widmete sich Morriel dem eklatantesten aller möglichen Fehler, der während einer lang zurückliegenden Vision in Forthmark ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Jene Fallgrube, die mehr als alles andere Lirendas Bemühungen um ihr Erbe zunichte zu machen drohte, war die hartnäckige Faszination, die jene Barmherzigkeit auf sie ausübte, die das Leben des letzten Prinzen von Rathain beherrschte.
    Sich der verborgen schimmernden Gefahr eben jenes einzelnen Einflusses wohl bewußt, folgte die Oberste Zauberin der Abfolge zukünftiger Ereignisse mit der Sorgfalt einer Spinne, die ihr Netz über einem tosenden Wasserfall spann. Und in ihrer Vision enthüllte sich langsam eine regnerische Szene im Schatten einer Tür in einer Nebenstraße einer Küstenstadt.
    Dort, in dieser Vision, Lirenda, verloren in den Armen Arithons, die Wangen gerötet, und ihr langes schwarzes Haar auf dem violetten Gewebe ihres Ordenskleides.
    Dieser erschreckende Anblick eines gebrochenen Gelübdes versetzte Morriel in Erstaunen, doch bevor sie noch Gelegenheit bekam, darüber nachzudenken, entwickelte sich die Sequenz unerbittlich weiter wie der Donner, der dem Blitzschlag folgen mußte.
    Ein Ausbruch feuriger Leidenschaft, dann ein blutendes Herz, gestillt von Eis, und all dem folgte eine zweite, klarere Vision: im Inneren eines kahlen Turmverlieses, dort, an kaltes Eisen gekettet, flach auf dem Boden ausgestreckt, derselbe Prinz. Eingeprägt in die s’Ffalenn-Züge, ein Ausdruck höhnischer Ironie. Unter vollkommener Mißachtung seiner Hilflosigkeit sprach Arithon mit flinker Zunge eine Phrase beißendsten Spotts.
    Dann eine scheußliche Offenbarung, ein entsetzlicher Bruch in der ewigen Kette zukünftiger Ereignisse, geeignet weit mehr zu zerstören als der übertriebene Stolz der Ersten Zauberin Lirenda. In einer erschütternden Explosion schriller Energien sah Morriel ihr eigenes Ende. Ihr Wille wurde zermalmt, die Selbstkontrolle ihr entrissen, aufgelöst in weißglühender Agonie. Sie sah, wie das Rad sich drehte, sah den ätherischen Schleier, gefolgt von jenem furchtbaren Bruch, der die letzte Verbindung zu der welken Hülle ihres Fleisches kappen sollte.
    Gedämpft durch die Filzvorhänge erklang der Aufschrei der Matriarchin, als der Strom der Vorsehungen aus seinem bekannten Bett hinausdrängte. Sengende Hitze wütete in ihrem Geist, schlug sich in Blasen auf ihren Handflächen nieder, dort, wo ihre Haut den machtvollen Kristall berührte, als sie keuchend und zitternd in sich zusammensank.
    Hals über Kopf aus der disziplinierten Trance gerissen, öffnete sie vollkommen desorientiert die Augen. Schwärze hielt sie umfangen. Eisiger Schrecken durchbohrte sie, bis sie einen Zauber hinausschrie und ihr Bewußtsein mit den kalten Steinen des Turmes erdete.
    Die Kerze neben ihrem Knie war umgestürzt oder einfach verloschen. In der Dunkelheit zwang sie sich, gleichmäßig zu atmen. Zurück blieb der zinnerne Nachgeschmack der Furcht, so deutlich und erschreckend wie das Pochen ihres Herzens. Denn eingebrannt in ihr Gedächtnis war von nun an das Wissen um ihren eigenen plötzlichen Tod.
    Die Umstände,

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