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Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung

Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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sie legte wie ein Stacheldraht, hielt sie eisern fest. Wann immer ein Weg in das Herz des Fokussteines angezapft wurde, öffneten sich die Tore zu seinem innersten Zentrum; und wie stets, wenn ein Tor zu lange verschlossen geblieben war, drängten die ruhelosen Rückstände, geprägt von vergangenen Zaubern, machtvoll zur Flucht.
    Wie ein Hagelschauer silbriger Glassplitter drängten die aufgewühlten Energien durch ihr versiegeltes Bewußtsein. Die beinahe empfindungsfähige Präsenz des Steines suchte nach Schwäche, nach irgendeinem Makel, einem Bruch in ihrem Charakter, einer schutzlos gebliebenen Bastion des Selbst. Sollte so eine Öffnung existieren, wie klein sie auch sei, so würde das eingepferchte Böse des Wegesteins hindurchdringen und sie lebendig verschlingen. Eine falsche Reaktion, und sie würde verloren sein in einem Strudel endloser Alpträume, gewirkt aus der verborgenen Scham und Schuld, die aus ihren eigenen Fehlern der Vergangenheit erwuchs.
    Morriel unterdrückte den gefahrvollen Instinkt des Zurückschreckens mit aller Macht. Sie war die Herrin all ihrer Schmerzen. Muskulatur, Gebeine, Gehirn und Eingeweide, ihr Leib unterlag doch stets der Knechtschaft ihres Willens. Sie drang durch den Widerstand neu auflebenden Hasses, gewappnet gegen den Aufschrei versklavten Kristalls. Tiefer und tiefer bohrte sich ihr Bewußtsein in das Gewebe des Juwels. Die Bosheit der dunklen Aspekte des Wegesteines zu bändigen, war, als wollte man einen Magmastrom mit bloßen Händen aufhalten. All der Abscheu zum Trotz, die ihre Nackenhaare zu Berge stehen ließ, stieß die Oberste Zauberin mit dem kalten Abwehrzauber ihrer Meisterschaft mitten hinein in die innere Rage der Matrix des Steines. Nur sie allein verfügte über das sichere Wissen über jene machtvollsten Banne, bedingungslose Unterwerfung zu erzwingen.
    Während sie Runen und Siegel in ritueller Anordnung schuf, drangen die fragmentarischen Echos früherer Zugriffe auf den großen Amethysten auf sie ein: Bilder von Feuer und Rauch und blutigen Schlachten. In dem steten Fluß eingeprägter Geschehnisse roch sie den Fäulnisgestank der Leichen, dahingerafft von einer Seuche. Sie fühlte erneut die klare Flut heilender Magie, gewirkt, die Fluten bösartiger Pestilenz von den Menschen abzuwehren; hörte den Aufschrei erzürnter Erde, unterworfen und zur Ordnung gerufen; das Heulen der Stürme, gezügelt, bevor sie über Handelsflotten und Küstenstädte hereinbrechen konnten. Ihre Nerven erzitterten unter den Echos vergangener Konflikte, wurden besänftigt von der Abwehr des Unglücks. Morriel konzentrierte sich auf die Macht des Erbarmens und der Menschlichkeit, die sich stetig und kraftvoll den ruhelosen Übergriffen grausamer Naturmächte entgegenstellten. Und doch drohte der Anprall des Chaos ihre innere Wahrnehmung für die Dauer eines Herzschlages zu überwältigen.
    Abgeschirmt, taub und blind gegen die Welt jenseits des Turmes, kämpfte Morriel, bis das letzte Siegel geschlossen war.
    Der Aufschrei, als der geübte Wille mit den rohen, elementaren Kräften kollidierte, jagte Schockwellen durch jede ihrer Synapsen, sogleich gefolgt von einem Schmerz, der durch ihre Knochen pulsierte und jeden Nerv bis in die Fingerspitzen hinein erfaßte.
    Dann hatte sie die Schwelle überschritten, das Innere des Steins unterworfen. Nun war die Oberste Zauberin nicht länger an jenes geschwächte Gefäß aus gealtertem Fleisch gebunden, sondern frei, auf den Schwingen des Windes zu wandeln und ihn zu zwingen, ihrem Willen zu dienen. Sie war der Gedanke, der das Herz eines Steines zu brechen imstande war, war das Sandkorn, das die See auszutrocknen vermochte. Sonne, Mond und die Gestirne waren ihre Diener, dazu bestimmt, auf ihren Wunsch hin all die Geheimnisse hinter ihrem silbernen Licht zu offenbaren.
    In diesem Augenblick der Herrschaft erstrahlten die Umrisse des alten Weibes in dem gleichen Violett, welches die Tiefen des Großen Wegesteines entflammte, und es oblag allein Morriel, über die mächtige Achse seines Inneren die schattenhafte Zukunft zu ergründen.
    Sie rechnete mit Problemen. Der Pfad zur Nachfolge der Obersten führte über viele Schlingen und Fallstricke, von denen ein jeder aus den Mängeln in der Entwicklung der Kandidatin gesponnen war. Keine Anwärterin konnte bestehen, ja, den letzten Test auch nur überleben, ohne sich vorher einer erschöpfenden Lehre zu unterziehen und über einen immer schmaler werdenden Pfad zu wandeln, um den

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