Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
imposanteste unter ihnen war der Söldnerkommandant aus Alestron.
Als dieser die Gestalt auf der Schwelle erblickte, ließ er sogleich den Rat im Stich, um seinen Herrn zu begrüßen. »Euer Lordschaft.«
»Herzog Bransian s’Brydion, seid mir willkommen«, grüßte nun auch der Prinz des Westens. »Ich darf Euch mein Beileid aussprechen. Angesichts Eures Besuches gehe ich davon aus, daß Ihr meine Nachricht, Euren Bruder Keldmar betreffend, erhalten habt.«
Die offenen Worte des Prinzen erfüllten den Söldner, der seinen Herzog besser kannte, mit Schaudern.
Bransian trat näher, und das Klicken seiner Sporen erhöhte die Spannung im Inneren des Zeltes noch weiter. »Eine hingekritzelte Beileidsbekundung wäre kaum imstande, mich hierher zu locken. Außerdem ist Eure Sentimentalität vergebens.« Er riß sich die Stahlhaube vom Kopf und warf sie in die Luft, als wäre sie federleicht. Sein Hauptmann, der direkt neben ihm stand, fing sie mit der Geschicklichkeit langjähriger leidvoller Erfahrung, während der Herzog, begleitet von metallischem Klirren, hinzufügte: »Ich bin deswegen hier.«
Hinter seinem Brustharnisch zog er einen zerknitterten Bogen Pergament hervor, spießte ihn auf einen Dolch und schleuderte die Waffe durch das enge Zelt.
Der gelbe Bogen flatterte durch die Luft, getragen von dem Wurfgeschoß bedrohlichen Stahls. Die Männer, die dem Tisch am nächsten standen, wichen aufgeschreckt zurück, während sich die Klinge mit einem dumpfen Klirren in der Mitte der Karte in den Tisch bohrte.
»Nur zu, lest es«, schnappte Bransian, während Nadeln und Münzen, die auf dem Plan Soldaten repräsentiert hatten, wild durch das Zelt flogen und das Gesicht des Herzogs über dem pelzigen Bart rot anlief. »Eure Männer wollen wissen, warum sich der Versorgungszug verspätet hat? Dann sagt ihnen, daß dieser mörderische Bastard der Schatten meine drei Brüder als Geiseln verschleppt hat.«
Statt den Dolch aus der Tischplatte zu zerren, schlitzte Lysaer das Pergament der Länge nach auf. Seine Augen, hart und strahlendblau, überflogen die Zeilen des dreisten Schreibens, welches auch ihn sogleich erzürnte. »… das Wohlergehen Eurer Brüder, die nun mein Faustpfand sind. So es Euer Wunsch ist, daß sie am Leben bleiben, so werdet Ihr die Versorgungslinien durch Shand unterbrechen, die das große Heer in Vastmark unterstützen.«
Im allgemeinen ärgerlichen und ungläubigen Gerede der versammelten Offiziere brüllte Bransian: »Bei meinem Namen und meinen Ahnen sage ich Euch, daß ich es nicht hinnehmen werde, mein Blut in Gefahr zu bringen.«
Sein Zorn kollidierte mit Lysaers ruhiger Beherrschung, als würden Klingen gekreuzt. »Wollt Ihr mir sagen, daß Ihr bereit seid, elftausend treue Männer dem Hungertod anheimzugeben, um drei Leben zu retten?« Der Prinz zerrte den Dolch mit einem Ruck aus dem Holz, woraufhin die Figuren, die die Bewegungen der Patrouillen anzeigen sollten, umstürzten. »Ihr wißt, daß unsere letzte Chance, den Sieg davonzutragen, verloren ist, wenn Ihr nachgebt.«
Jeder Mann in dem Lager war sich der politischen Umstände bewußt. Nur der Clanname s’Brydion hielt die Barbaren des Selkwaldes davon ab, jeden Wagen zu plündern, der die Wildnis Shands durchquerte.
Bransians Augen glitzerten wie geschliffener Stahl, als er sich näher an den Tisch heranschob. »An Euren Händen klebt das Blut des Caithdein von Tysan, und das ist ein Affront, den kein Mann, in dessen Adern Clanblut fließt, je vergeben wird. Wenn Euer Feind auch der meine ist, so ist dies doch keine bindende Verpflichtung für mich, und die Leben, die Ihr zu opfern gedenkt, sind die meiner Brüder!« Sein gewaltiger Leib verursachte wilde Schattenbilder, während er selbst standhaft und unerbittlich wie ein Felsen vor dem Herrscher von königlichem Blute stand. »Solltet Ihr das wirklich vergessen haben? Die Hälfte Eurer elftausend Männer sind mein. Wie könnt Ihr es wagen, mir zu sagen, daß meine nächsten Angehörigen weniger wert sind als der Kopf eines schattenbeherrschenden Flüchtlings?«
Mit spöttischem Tadel stellte sich Lysaer dem zornigen Löwen von einem Mann. »Für die Anklage und das Todesurteil gegen die gnädige Frau Maenalle schulde ich keinem Menschen auf Erden eine Entschuldigung. Und so sehr ich die mißliche Lage Eurer Verwandten bedaure, ist es doch ein Fehler, der für uns alle fatale Folgen zeitigen könnte, ihr Leben gegen den Tod des Schattengebieters aufzuwiegen.«
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