Der Fluch des Salamanders
die der junge Indio für völlig überflüssig hielt. Nur ein paar Sachen zum Wechseln, eine Taschenlampe und das Nachtsichtgerät ihres Vaters fanden seine Gnade. Im Gegensatz zu Johns Büchern, die ebenfalls auf dem Haufen landeten.
»Du wirst unterwegs keine Zeit zum Lesen haben«, erklärte Pablo knapp, dann nahm er sich Leas Gepäck vor.
Als er fertig war, wogen die Rucksäcke der Geschwister nur noch ein Achtel ihres ursprünglichen Gewichts.
»Lasst uns gehen! Wir haben einen weiten Weg vor uns!«, sagte Pablo und eilte auf den Pfad zu, der sie zurück zur Autopiste bringen würde.
»Warte einen Moment! Ich hinterlasse noch schnell eine Nachricht!«, rief Lea ihm nach.
Sie rannte ins Zelt ihrer Eltern und schrieb eine kurze Notiz auf einen Zettel, den sie in die Hängematte ihrer Mutter legte. Dort würde sie ihn bestimmt finden, falls sie doch hierher zurückkämen. Ehe sie das Zelt verließ, holte sie die Aufzeichnungen ihrer Eltern aus dem Geheimversteck und steckte sie ein.
»Beeil dich«, rief Pablo, der ungeduldig auf sie wartete.
John beobachtete ihn genau. Der junge Indio sah besorgt aus. Seine Augen beobachteten die Ränder des Urwaldes, als würde dahinter etwas Bedrohliches lauern.
John gefiel der Gedanke überhaupt nicht. Ihm gefiel die ganze Dschungel-Sache nicht.
»Alles klar! Wir können!«, rief Lea, als sie fertig war.
Sie waren schon auf dem Pfad, als Lea sich noch einmal nach dem Camp umsah. Auch wenn es eine verführerisch logische Erklärung für das plötzliche Verschwinden ihrer Eltern gab, ganzwohl war ihr bei der Sache trotzdem nicht. Wie man eine Mücke verscheucht, verjagte sie mit der Hand die beunruhigenden Gedanken. Alles war gut. Es gab keinen Grund zur Sorge. In ein paar Tagen – und länger würde ihre Trennung bestimmt nicht dauern – würden sie alle wieder zusammen sein.
Pablo ging voran. Mit einer Machete schlug er die wuchernden Pflanzen zurück, die überall auf den Pfad drängten. Der Boden war feucht und rutschig, trotzdem kamen sie dank ihres leichten Gepäcks zügig voran. Es war derselbe Pfad, den sie auch bei ihrer Ankunft mit ihren Eltern genommen hatten.
Bald würden sie die schnurgerade Piste erreichen, die in die nächste Siedlung führte. Dann konnten sie den Jeep nehmen, der immer noch an der Straße parkte.
Pablo konzentrierte sich auf seine Machete und auch die Zwillinge sprachen wenig. Sie hingen ihren eigenen Gedanken nach.
Während Lea die undurchdringliche grüne Wandrechts und links beobachtete, versuchte sie zu erraten, was in Pablos Kopf vor sich ging. Hatte er sie vielleicht doch angelogen, um sie zu beruhigen? Wieso vertrauten sie ihm überhaupt? Sie kannten ihn kaum. Aber ihre Eltern vertrauten ihm. Das musste reichen.
Für John klang Pablos Erklärung vernünftig. Seine Eltern kümmerten sich ja auch sonst nicht um seine Schwester und ihn. Deshalb wunderte es ihn überhaupt nicht, dass sie für die vage Hoffnung, den dämlichen Lurch zu finden, ihre Kinder selbst hier im Urwald einfach im Stich ließen. Was ihm viel mehr Sorgen machte, war Pablos Blick vorhin gewesen. Gab es da noch eine andere Bedrohung? Eine, von der er und seine Schwester nichts ahnten?
Es war schwül. John schwitzte und starrte auf den Rücken des feuchten T-Shirts mit dem bunten Aufdruck, das Pablo trug. Ein eigenartig schillernder Käfer hatte sich darauf niedergelassen und krabbelte auf der Baumwolle nach oben auf Pablos Schulter. Mit einer Handbewegung wischte der junge Indio ihn fort, ohne sich weiter um das seltsame Insekt zu kümmern.
(aus Johns Notizbuch)
Gegen Mittag hatten sie endlich die Piste erreicht. Der Jeep stand noch dort, wo Pablo ihn abgestellt hatte. Der junge Indio kletterte hinein und versuchte, ihn zu starten.
»Was ist denn los?«, fragte John beunruhigt, als der Motor auch nach dem fünften Versuch nicht ansprang.
»Keine Ahnung«, erwiderte Pablo.
Er stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete die Haube des Jeeps. Lose Kabeln lagen angeknabbert zwischen dem Motorenblock. Ein Nager hatte sich in den letzten Tagen an dem Gummi satt gefressen.
»Und nun?«, fragte Lea.
»Laufen wir«, erwiderte Pablo.
»Kannst du das nicht reparieren?« John sah den jungen Indio hoffnungsvoll an.
»Keine Chance.« Pablo zeigte auf die durchtrennten Kabel. »Da ist nichts mehr zu machen.«
»Wir können doch warten, bis ein Wagen kommt und uns mitnimmt«, schlug John vor.
Pablo antwortete nicht. Er zeigte einfach die Piste hinunter, auf
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