Der Fluch des Salamanders
sie Pablo eingeholt hatten.
»Später!«, antwortete Pablo einsilbig.
Die Zwillinge waren müde, erschöpft und hatten den ganzen Tag so gut wie nichts gegessen. Aber das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war die Frage, die sie beide beschäftigte: Was war es, was Pablo für so gefährlich hielt, dass er unbedingt hier wegwollte?
Für Lea war die Antwort klar: die Krokodilkaimane im Fluss.
Für John gab es eine Million andere, spannendere Erklärungen. Eine beunruhigender als die andere.
Nach einer weiteren Stunde Fußmarsch auf einem verschlammten Pfad gestattete Pablo den Zwillingen endlich eine kurze Rast, um etwas zu essen. Einen Übergang über den Fluss hatten sie noch immer nicht gefunden. Nass waren sie trotzdem. Zwischendurch hatte es immer wieder geregnet. Zum Glück war es nicht kalt, und solange es regnete, ließen die Moskitos sie in Ruhe.
Pablo schlug mit der Machete ein paar Blätter von einer wilden Bananenstaude, damit die Kinder sich nicht in den Matsch setzen mussten. Danach verteilte er trockene Tortillas an die beiden. Er selbst aß nichts. Er schien immer noch unruhig und horchte angespannt in den Urwald, aus dem das Krächzen von Vögeln und das unvermeidliche Brüllen der Affen tönte.
Die Zwillinge waren zu müde und zu hungrig, um Fragen zu stellen. Aber als Pablo nach einer halben Stunde begann, ihre Sachen wieder einzupacken, blieb John einfach sitzen.
»Ich geh keinen Schritt weiter!«, erklärte er und verschränkte seine Arme vor der Brust.
»Wir müssen!«, erwiderte Pablo ungeduldig.
»Aber warum? Warum gehen wir nicht einfach zurück und warten, bis unsere Eltern den dämlichen Lurch gefunden haben?«, erwiderte John. »Im Lager sind wir auch in Sicherheit. Und außerdem gibt es da Hängematten.«
Pablo zögerte einen Moment. Er blickte sich um, dann hieb er mit seiner Machete gegen die Baumstämme, die um sie herumstanden. Mit einem schmatzenden Ton drang die Klinge in die Stämme ein. Plötzlich aber erklang ein hartes Geräusch, als ob Metall auf Stein schlagen würde. Pablo nickte zufrieden.
»Was machst du da?« Lea hatte ihm zugesehen, ohne zu verstehen, was der junge Indio vorhatte.
»Ich suche einen versteinerten Baum. In den meisten davon leben Fledermäuse. Das sind die bestenWächter überhaupt. Besser als Wachhunde«, antwortete Pablo und holte die Plastikplane aus seinem Beutel.
(aus Leas Notizbuch)
»Wozu? Willst du denen Männchenmachen beibringen?«, fragte John.
»Männchenmachen? Was ist das?«, fragte Pablo überrascht.
»Ihnen Kunststücke beibringen, sie dressieren«, erklärte Lea.
Der junge Indio warf den Zwillingen einen nachsichtigen Blick zu. Sie konnten ja nichts dafür, dass sie sich im Dschungel nicht auskannten.
»Die muss man nicht dressieren. Bei Gefahr fliegen die Fledermäuse sofort weg. So wissen wir, wenn jemand kommt«, erklärte er. »Auch nachts. Ihr Flügelschlag weckt uns, wenn sie aufgeschreckt werden.«
Lea starrte auf den riesigen Baum. Ganz oben glaubte sie, tatsächlich einige Fledermäuse erkennen zu können, die kopfüber an den Ästen hingen.
»Wieso nachts?«, fragte John.
»Weil wir hierbleiben. Zurück ins Lager ist es zu weit, und der Weg in die Stadt durch den Umweg noch weiter«, erklärte Pablo, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
»Wir können doch nicht hier mitten im Dschungelübernachten!« Lea gefiel die Vorstellung genauso wenig wie ihrem Bruder.
»Warum nicht? Ich spanne eine Plane, dann bleiben wir trocken«, erwiderte Pablo unbeeindruckt und begann die Plastikplane auseinanderzubreiten und mit dem Seil über ihrem provisorischen Lager mit den Bananenblättern zu befestigen.
»Und was ist mit den Schlangen, Skorpionen und so?«, fragte John.
»Die haben mehr Angst vor uns als umgekehrt.«
»Und was ist mit dem Dschungel-Yeti?«
»Yeti? Was soll das denn schon wieder sein?« fragte Pablo.
»Hör einfach nicht auf John.« Lea verdrehte genervt die Augen. »Der Kleine ist ein bisschen …« Sie ließ ihren rechten Zeigefinger an ihrer Stirn kreisen, und auch wenn Pablo diese Geste noch nie gesehen hatte, begriff er sofort, was sie bedeuten sollte.
Genau wie John. Er stürzte sich auf seine Schwester und riss sie zu Boden.
»Ich spinne nicht! Sag das nie, nie wieder«, brüllte er, während er sich mit Lea im Schlamm wälzte.
»Ich habe doch gar nichts gesagt«, keuchte Lea, die von dem Ausbruch ihres Bruders so überrascht war, dass sie kaum dazu kam, sich zu
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