Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
liegen musst.«
Immer noch rührte der Gefangene sich nicht.
»Na, komm schon. Versuch dich zu bewegen!«, forderte Conrad zunehmend ungeduldig und hampelte mit den Armen.
Nichts geschah. Der Schwarze starrte ihn bloß an. Conrad konnte nicht sagen, was er in den Augen las. Vielleicht Verwirrung und Unverständnis.
»Du musst dich bewegen, sonst rosten deine Muskeln ein, so wie die Zange, die ich gerade ruiniert habe!«
Conrad wollte die Hand des Mannes ergreifen, um sie zu bewegen, aber sofort fuhr sie ihm abwehrend entgegen. Der Mann wollte ihn nicht verletzen, aber ihn eindeutig daran hindern, ihn zu berühren.
Erschrocken fuhr Conrad zurück und hielt dem Schwarzen abwehrend beide Handflächen entgegen. Beruhigend sagte er: »Nur mit der Ruhe, ich will dir nicht schaden. Sonst hätte ich ja kaum die Ketten durchtrennt.«
Vorsichtig rückte er ein Stück von dem Mann ab. Langsam setzte der Schwarze sich auf, er bewegte zuerst seine Hände, dann seine Füße. Jeder einzelne Finger krachte. Dabei ließ er Conrad keinen Augenblick aus den Augen.
»Ich hoffe, du verstehst die Lage nicht falsch«, sagte Conrad vorsichtig. »Auch wenn ich weiß bin, will ich dir nichts Böses.«
Der Schwarze lehnte sich zurück und drehte seinen Kopf in alle Richtungen. Seine Knochen knackten so laut, dass selbst Conrad es hörte.
Plötzlich sagte der Schwarze völlig unerwartet: »Assante!«
Erschrocken fuhr Conrad zurück. Hatte der Mann eben gesprochen, oder hatte er sich verhört?
»Assante?«, wiederholte Conrad leise.
Der schwarze Mann nickte und rollte seine Handgelenke. Wieder knackte es laut.
»Ist das dein Name?«, fragte Conrad verwundert.
Doch der Gefangene sagte nichts mehr. Er schloss die Augen, lehnte sich gegen eine der Truhen und schien zu schlafen.
Conrad hingegen war überhaupt nicht müde. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Ob der Mann ihn verstanden hatte? Ob er Latein sprach?
»Was bist du bloß für ein Narr!«, schimpfte er sich selbst. Aber es war zu spät. Conrad hatte dem Gefangenen von der Schatzkarte erzählt, von El Dorado, dem sagenumwobenen Goldschatz.
Aber es war weniger schlimm, dass der Mann vielleicht von der Schatzkarte wusste, viel störender fand er die Tatsache, dass er ihm von seiner Kindheit erzählt hatte. Vom Verlust seiner Eltern und dem dringenden Bedürfnis, in den Augen aller ein wirklich guter Arzt zu sein. Die Vorstellung, dass der Schwarze neben ihm seine Ängste und geheimsten Wünsche kannte, ließ ihn sich so nackt fühlen, wie der andere tatsächlich war.
An Bord
der Santa Lucia,
November 1618
Rico hatte in seinem kurzen Leben gelernt, dass es besser war, den Menschen immer nur das zu erzählen, was sie gerne hören wollten. Damit war er bis jetzt meist gut gefahren.
Und immerhin stimmte es, dass Jana mit allen Mitteln versuchte, den Kapitän dazu zu überreden, Conrad wieder freizulassen. Zuerst mit Argumenten, dann mit Schmeichelei und schließlich mit Drohungen: »Sobald wir Trinidad erreicht haben, werde ich mich an einen Richter wenden, der Euch Euer Kapitänspatent aberkennen wird«, hatte Jana geschrien und nicht mehr als ein mitleidiges Lächeln geerntet.
Zum Glück hatte Servante sie rechtzeitig weggezerrt, bevor Jana zu wüsten Beschimpfungen übergegangen wäre.
»Ihr seid ja schlimmer als Euer Mann«, hatte der Lotse gesagt. »Ihr schadet ihm und auch Euch selbst, wenn Ihr auch nur ein einziges weiteres Wort sagt.«
Niedergeschlagen hatte Jana geschwiegen. Bestimmt hatte sie eingesehen, dass Servante recht hatte.
»Ich habe Conrad zu dieser Reise gedrängt, und nun sitzt er im Gefängnis. Ich habe mich noch nie so elend gefühlt«, hatte sie zu Servante gesagt. Bestimmt hatte sie da noch nicht geahnt, dass sich ihre Wunde entzünden und sie sich bald noch viel schlimmer fühlen würde.
Von all dem erzählte Rico Conrad nichts.
Jana bekam hohes Fieber, musste liegen und hatte ganz furchtbare Schmerzen. Sie fantasierte im Fiebertraum, schrie laut Conrads Namen und konnte bald die Wirklichkeit vom Traum nicht mehr unterscheiden. Die Stunden wurden zu Tagen und die Tage zu Wochen. Jana verdankte es allein Servantes hingebungsvoller Pflege, dass sie nicht dem Fieber erlag. Im Gegensatz zu Janas Verletzung heilte Servantes Bein problemlos. Er konnte bereits nach drei Tagen wieder übers Schiff humpeln, während Conrad eingesperrt war und Jana fantasierte. Wann immer seine Zeit es zuließ, kniete Servante neben Jana, versorgte sie mit
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