Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
die Reling und sah auf das nicht enden wollende Blau des Meeres. Im Moment konnte sie sich nicht vorstellen, dass tatsächlich wieder Land am Horizont auftauchen würde. Sie verbrachte einen Großteil des Vormittags in dieser Position, und am Nachmittag tauchten am Himmel zwei Möwen auf, die von der gesamten Mannschaft mit Freudenschreien begrüßt wurden. Wo Vögel waren, konnte auch Land nicht weit sein. Die krächzenden Schreie der Vögel klangen in Janas Ohren wie herrlich komponierte Musik. Zufrieden sank sie auf den Boden und hockte sich in den Schatten einer Kiste. Jetzt, da ihr Ziel so nah zu sein schien, wuchs ihre Ungeduld, und sie konnte es kaum erwarten, endlich ihren Fuß an Land zu setzen und Conrad wiederzusehen. Gegen Abend frischte der Wind wieder auf. Valdiva ließ alle Segel setzen und betrat selbst das Achterdeck, obwohl er sich eigentlich zum Ausruhen und Schlafen legen sollte. Eine freudige Erwartung hatte sich unter den Männern breitgemacht. Keiner wollte den Augenblick versäumen, wenn am Horizont ein Streifen Land erschien. Aber die Sonne ging unter, und am Horizont trafen Himmel und Wasser zusammen. Weit und breit war kein Land in Sicht.
Enttäuscht, aber voller Hoffnung legte sich Jana auf ihre Decke und rollte sich zusammen, konnte jedoch keinen Schlaf finden. Ihre Aufregung war zu groß. Immer wieder griff sie nach dem goldenen Schmuckstück unter ihrer Bluse. Irgendwo im Westen wartete El Dorado auf sie und Conrad. Was würden sie finden? Lag tatsächlich ein gigantischer Goldschatz in einem See verborgen? Was würde sie mit dem Reichtum anstellen? Gemeinsam mit Conrad ein Hospital für arme und bedürftige Menschen eröffnen? Conrad hatte davon gesprochen, bevor sie Gran Canaria verlassen hatten. »Wenn wir das Gold tatsächlich finden, dann sollten wir etwas Sinnvolles damit anstellen«, hatte er gesagt und deutlich erklärt, was seiner Meinung nach sinnvoll war. »Sicher brauchen auch in der Neuen Welt die Ärmsten ein Hospital, in dem sie behandelt werden, ohne ihr gesamtes Erspartes herzugeben.« Jana gefiel die Vorstellung von einem Hospital, in dem all jene behandelt wurden, die es sich sonst nicht leisten konnten. Mit dem Bild eines Orts des Friedens und der Gesundheit schlief sie ein und wurde erst wieder wach, als die Sonne aufgegangen war und Valdiva begeistert rief: »Land in Sicht!«
Augenblicklich sprang Jana auf und stürzte wie alle anderen auch zur Reling. Zuerst konnte sie nichts erkennen. Sie glaubte, dass die Wolken ihr ein Bild vorgaukelten, aber als sie die Augen zusammenkniff und noch einmal hinsah, erkannte sie eindeutig Land aus Erde, Felsen, Sand und grünen Pflanzen. Jana traten Tränen der Freude in die Augen. Sie umarmte den Matrosen, der neben ihr stand, auch er hatte feuchte Augen.
Valdiva ließ die Takelage in Windrichtung setzen, und zügig nahm das Schiff Kurs Richtung Festland. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto klarer wurden die Formen und umso kräftiger die Farben. Das Land erstrahlte in saftigem, sattem Grün. Jana konnte es kaum erwarten, endlich das Schiff zu verlassen, das ihr mittlerweile wie ein grausamer Käfig erschien.
Sie suchte nach Servante, als der entsetzte Schrei des Matrosen im Aussichtskorb sie herumfahren ließ.
»Drei Schiffe mit schwarzen und roten Fahnen kommen auf uns zu.«
Für einen Moment erstarrten die Männer an Bord. Bloß Jana wusste nicht, was die Ankündigung zu bedeuten hatte.
»Piraten«, klärte der Matrose sie auf, den sie eben noch umarmt hatte. Der Kerl war ein hartgesottener Seemann mit Händen so groß wie Teller und Schultern so breit, dass er einem Ochsen die Stirn bieten konnte, doch beim Anblick der drei kleinen Boote zitterte er vor Angst.
»Was können uns die drei winzigen Boote anhaben?«, fragte Jana.
»Auf jedem der Boote sitzen mindestens 15 Männer, die bis an die Zähne bewaffnet sind und den ganzen Tag nichts anderes machen, als sich im Nahkampf zu üben. Sie werden uns nicht beschießen, denn Munition ist teuer. Sie werden uns entern und dann gnade uns Gott.«
»Können wir nicht vor ihnen davonsegeln?«, fragte Jana naiv. »Unser Schiff ist doch groß, schwer und schnell.«
»Wir sind nicht wendig genug«, erklärte Servante. Er war zu ihr getreten und starrte ebenfalls besorgt Richtung Piraten, die zügig auf sie zusteuerten.
»Wenn wir Glück haben, wollen sie uns nicht töten, sondern bloß Beute machen. Aber ihre rote Fahne ist beunruhigend.«
»Warum?« Mit jeder Frage kam
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