Der Fluch vom Valle della Luna
Gesellschaft. Geliebte ... Wieso unterhalten Sie sich nicht mal mit Dottor Boatti, Dottoressa Rosso? Leonardo Boatti. Er arbeitet in Marilenas Klinik.«
Nelly erinnert sich. Vor zwei Tagen ist sie mit Marco in Novi gewesen, um Marilenas Mitarbeiter zu befragen. Sie sieht einen großen, kräftigen, reichlich behaarten Mann vor sich, der eher wie ein Ringer denn wie ein Arzt aussieht, jedoch als hervorragender plastischer Chirurg gilt.
»Ich habe bereits mit Dottor Boatti gesprochen.«
Magraja sieht sie demütig und leicht abwesend an.
»Dann haben Sie ihm vielleicht nicht die richtigen Fragen gestellt ...«
Der achtundvierzigjährige Leonardo Boatti überragt Nelly um ein gutes Stück, als er sie in sein Büro in der Klinik Rinascere führt. Schon vor ein paar Tagen hat Nelly über den modernen Luxus in den brandneuen Gebäuden der Klinik gestaunt, die inmitten eines mehrere Hektar großen Parks vor den Toren Novi Ligures liegt, augenscheinlich völlig losgelöst von der Ortschaft, neben der sie wächst und floriert. Die Kollegen haben berichtet, dass Patienten und Klinikpersonal nichts mit der Kleinstadt zu tun haben. Im Park stehen mehrere Villen für die Mediziner und das Personal. Auch für die Angehörigen der Patienten gibt es eine Art kleines Luxushotel mit riesigem Pool. Marilena und ihr Stab haben sich wahrlich nicht lumpen lassen.
Schnaufend nimmt der Mann hinter seinem Schreibtisch Platz. Das Zimmer ist vollkommen in Weiß gehalten und das Mobiliar mehr als luxuriös. Nelly hat gerade einen Artikel über die Kliniken gelesen, die in Thailand wie Pilze aus dem Boden schießen und in denen eine Behandlung ein Bruchteil dessen kostet, was man hierzulande dafür bezahlt. Amerikaner und Araber strömen dorthin, jeder, der sich Service und Komfort zu erschwinglichen Preisen wünscht. In der Zeitung war sogar ein Foto der Eingangshalle einer dieser Superkliniken abgebildet, mit Flügel, Pianist und Springbrunnen, wie in einem Fünfsternehotel. Diese Klinik hier erinnert sie daran, einzig der Flügel fehlt.
»Also, Dottoressa Rosso, worum geht es? Sie haben bereits alle mehr als ausgiebig vernommen, wieso sind Sie schon wieder hier, statt Dottoressa Pizzi zu suchen?«
Das erste Mal ist er freundlicher gewesen.
»Wir tun nur unsere Arbeit, Dottore. Um zu wissen, wo wir sie suchen sollen, müssen wir zunächst einmal versuchen zu verstehen, weshalb die Dottoressa verschwunden ist und wer dahinterstecken könnte. Übrigens, stimmt es, dass Sie beide ein Verhältnis hatten?«
Freundlich und arglos lächelt Nelly ihn an. Sein Gesicht wird puterrot.
»Und Sie glauben, wenn Sie den Leuten mit solchen Kriminalkomödienfragen auf den Sack gehen, kommen Sie dahinter, was Marilena zugestoßen ist?«
Aha. Jetzt ist es nicht mehr Dottoressa Pizzi, sondern Marilena. Der Chirurg lässt sich gegen die Stuhllehne fallen. Allmählich weicht die Röte aus seinem Gesicht. Er seufzt resigniert.
»In einem Umfeld wie diesem wird nun mal viel getratscht. Trotzdem weiß ich nicht, was Sie meinen. Dottoressa Pizzi und ich treffen uns ab und zu und haben auch Sex miteinander. Nichts, was der Rede wert wäre, keinerlei Gefühlsverwicklungen, um Gottes willen. In unserem Job steht man mächtig unter Stress, und Marilena hat einen, sagen wir mal, nicht sonderlich aufmerksamen Ehemann.« Er grinst. Ein echter Gentleman.
»Wissen Sie, ob Romeo Pizzi etwas von Ihrem Anti-Stress-Programm wusste?«
»Was weiß ich? Marilena hat nie etwas dergleichen erwähnt. Und ehrlich gesagt, ist es mir auch egal. Die beiden hatten seit Jahren schon eine reine Geschäftsbeziehung, ansonsten hat jeder seins gemacht. Glauben Sie wirklich, diese Plauderei über unser Privatleben bringt Sie in Ihren Ermittlungen weiter?«
Er sieht sie herausfordernd an.
»Kommt darauf an. Wo waren Sie zum Beispiel an dem Abend von Marilenas Verschwinden zwischen sechs und sieben Uhr?«
Wieder schießt ihm die Röte ins Gesicht.
»Auf Visite bei den Patienten, die ich am nächsten Tag operieren sollte. Das habe ich auch schon Ihrem Kollegen zu Protokoll gegeben. Fragen Sie Imelda, die Oberschwester, oder meinen Assistenten Bonaiuti oder wen immer Sie wollen. Mit Marilena habe ich mich kurz gegen drei zu einem Briefing getroffen. Sie war wie immer, voller Energie.«
»Wirkte Dottoressa Pizzi vielleicht bedrückt wegen der Geschehnisse innerhalb ihrer Familie? Hat sie mit Ihnen darüber gesprochen?«
Boatti denkt nach, das Kinn auf die gefalteten Hände
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