Der Fluch vom Valle della Luna
liebe Nelly. Wir haben nicht den kleinsten Beweis, nichts. Ich wette mit euch, binnen achtundvierzig Stunden werden die Entführer mit einer satten Lösegeldforderung von sich hören lassen.« Er versuchte überzeugend zu klingen, doch Nelly und Gerolamo sahen ihn nur schweigend an, in Gedanken bereits ganz woanders.
Marco und Nelly sitzen Tano gegenüber, der sich hinter seinem Schreibtisch verschanzt hat. Seit ein paar Minuten herrscht Schweigen, jeder grübelt über die neueste Wendung dieser immer vertrackteren Geschichte nach. In dem Moment klopft jemand an die Tür. Es ist Valeria. Signor Pizzi ist da. Er kommt herein, noch grauer und gebeugter als sonst, und grüßt die Anwesenden mit einem Nicken. Das Sprechen scheint ihn Kraft zu kosten. Marco überlässt ihm seinen Stuhl und geht hinaus, um sich einen anderen zu holen. Der Mann setzt sich und beginnt zu weinen. Die anderen schweigen betreten. Signor Pizzi schluchzt noch ein paar Mal, zieht ein verknülltes Seidentaschentuch aus der Anzugtasche und schnäuzt sich. Nelly ist von dieser Posse eher genervt als gerührt. Tano räuspert sich diskret, und der Mann blickt ihn mit geröteten Augen an.
»Was ist meiner Frau zugestoßen, Dottor Esposito? Dottoressa Rosso?«
Sein Blick wandert zwischen den beiden hin und her.
»Es sieht ganz nach einer Entführung aus, Signor Pizzi«, antwortet Tano. »Ihre Frau befand sich glücklicherweise nicht in dem Auto. Man kann also nur abwarten, dass die Entführer sich melden. Oder haben Sie vielleicht einen anderen Verdacht? Ein Racheakt? Konkurrenten oder Kollegen Ihrer Frau? Irgendeine OP mit unbefriedigendem Ausgang? Offene Rechnungen?«
Pizzi schüttelt verzweifelt den Kopf.
»Das kann ich mir alles nicht vorstellen. Wir haben keine Schulden, die Klinik läuft gut, auch für die Aktionäre, es gibt keine finanziellen Probleme. Es hat wohl mal die eine oder andere Klage auf Schadensersatz gegeben, wegen ... nicht vollends gelungener Operationen, aber wir sind entweder freigesprochen worden oder haben großzügig entschädigt. Ich zeige Ihnen gern, worum es ging, aber ich wüsste wirklich nicht ... Rache?« Er seufzt erschöpft. »Ich kann dieses Wort einfach nicht mehr hören. Seit Monaten taucht es bei jedem neuen Schicksalsschlag, der uns trifft, wieder auf wie ein böser Kehrreim.«
Er blickt Nelly an.
»Aber Rache wofür? Und vor allem, wer will sich an uns rächen?«
Seine Stimme ist schrill geworden. Nelly bleibt ungerührt.
»Lieber Signor Pizzi, wenn wir wüssten, worum es sich handelt oder wer Ihrer Familie diese Schicksalsschläge, wie Sie es nennen, zufügt, würden wir hier nicht sitzen. Der Verdacht, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den Unfällen, Verbrechen, Morden und Entführungen, die Ihre Familie in den letzten Monaten heimgesucht haben, ist nur eine Hypothese, die genauso gerechtfertigt ist wie jede andere, die des blinden Zufalls beispielsweise, des Pechs. Solange wir nichts beweisen können, können Sie sich aussuchen, welche Ihnen lieber ist. Übrigens, Ihre Frau ist gestern Nachmittag um sechs aus Novi losgefahren, doch bis zur Autobahn ist sie nicht gekommen. Wo waren Sie gestern um diese Zeit, Signor Pizzi?«
Der Mann wird wachsweiß.
»Muss ich meinen Anwalt anrufen? Verdächtigen Sie mich?«
»Antworten Sie einfach. Wo waren Sie zu der Zeit?«, schaltet sich Tano ein.
»Ich war ... bei meiner Schwägerin Magraja.«
Die drei Polizisten sehen sich an.
»Das werden wir überprüfen. Und weshalb waren Sie bei ihr?«
»Ich ... ich habe meine Schwiegermutter besucht. Sie wissen ja, sie ist sehr krank.«
Schweigen senkt sich über die Szene.
»Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrer Frau, Signor Pizzi?«, fragt Nelly schließlich.
Er zieht den Kopf noch tiefer zwischen die Schultern. Die Frage behagt ihm nicht, doch um eine Antwort kommt er nicht herum. Sein Mund verzieht sich, als müsste er eine bittere Pille schlucken.
»Wie soll es schon sein? Wie bei Eheleuten, die seit mehr als dreißig Jahren verheiratet sind, die zusammen arbeiten und einander respektieren. Wir haben ein gutes Verhältnis. Ich verstehe, dass Sie Ihre Arbeit tun müssen, aber Sie irren sich, wenn Sie glauben ... Also, verstehen Sie mich doch. Ich bin zutiefst geschockt, meine Frau ist verschwunden, und ich weiß nicht, was mit ihr ist, ob man ihr etwas angetan hat.«
Er hockt schlaff auf seinem Stuhl.
Du sagst nicht die Wahrheit, Freundchen. Deine Tochter hat mich darüber aufgeklärt,
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