Der Fluch vom Valle della Luna
Familie Simon. Die leben nicht mehr in der Schweiz. Sie sind vor Jahren nach Amerika gezogen, in die Vereinigten Staaten. Die aufzuspüren würde ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen ... Das ist die schlechte Neuigkeit.« Ein verschmitztes Lächeln strafte ihre Zerknirschtheit Lügen.
»Daraus schließe ich, dass es auch eine gute gibt.«
Nelly setzte sich auf Valerias Schreibtischkante. Sie wusste eigentlich, dass ihre Mitarbeiterin das nicht mochte, doch manchmal dachte sie nicht daran. Valeria kniff die Lippen zusammen und wandte den Blick von der Pobacke ab, die ihr die Sicht versperrte.
»Ja, es gibt eine gute. Die Tochter der Simons, Isabelle, lebt – raten Sie mal, wo?«
»In Genua!«, rief Nelly.
»Warm: in Mailand. Seit sieben Jahren. Sie leitet eine Modelagentur. Eine Karrierefrau. Ich hatte gehofft, ein Foto von ihr aufzutreiben, aber ich hab’s noch nicht geschafft, und deshalb bin ich genervt. Vielleicht ...«
Nelly unterbrach sie. Die gute Nachricht machte ihrem Namen alle Ehre.
»Das ist nicht so wichtig, Valeria. Hast du ihre Adresse? Die Telefonnummer der Agentur und auch die private? Super. Setz dich mit ihr in Verbindung oder mit ihrer Sekretärin, wenn sie eine hat, und mach einen Termin für mich aus. Sag ihr, was du willst, Hauptsache, du kriegst sie rum. Sag ihr, es geht um Leben und Tod oder was auch immer. Manchmal darf man auch übertreiben.«
VII
Mailand. Drei Tage nach dem Frieden von Boccadasse und nach ein paar feurigen Nächten. Zwei Tage nach der Neuigkeit von Valeria. Umtriebig wie immer hat sie einen Blitztermin mit der Simon klargemacht. Es regnet in Strömen, doch Nelly ist in Gedanken ganz bei dem bevorstehenden Treffen. Sie drückt auf die Klingel des Palazzos am Piazzale Loreto, wo die Tochter des Schweizer Paares wohnt, das die erste Tochter vor vierzig Jahren in Sardinien verloren hat. Isabelle führt in der lombardischen Hauptstadt eine sehr bekannte Modelagentur, ein Ableger einer berühmten amerikanischen Agency.
Nelly betritt das Gebäude – Signora Simon hat eingewilligt, die Kommissarin bei sich zu Hause zu empfangen – und fährt mit dem Aufzug ins Penthouse. Die Tür geht auf, Nelly bleibt wie angewurzelt stehen und bringt für ein paar quälende Augenblicke kein Wort heraus. Auch wenn sie insgeheim etwas Ähnliches erwartet – erhofft? – hatte, ist sie dennoch sprachlos. Auf der Schwelle steht Maria Grazia Pisu, nur moderner gekleidet. Nelly fällt die Frau wieder ein, die Gerolamo am Bahnhof Principe gesehen hat und von der er hätte schwören können, es sei Magraja gewesen. Die Untersuchung der DNA, wegen der sie gekommen ist, ist plötzlich hinfällig. Die Frau, die jeder für die Tochter von Lorenza und Giacomo Pisu gehalten hat, ist in Wirklichkeit die kleine Annabelle. Ist das möglich? Aber von wem ist dann das Blut auf dem Leibchen, das man bei den Sogos-Brüdern gefunden hat?
»Dottoressa Rosso? Kommen Sie doch bitte herein.«
Isabelles Stimme ist harmonisch und selbstbewusst, genau wie ihr Äußeres. Ein kaum hörbarer ausländischer Akzent. Eine, die gern alles unter Kontrolle hat. Nelly versucht sich zusammenzureißen, aber sie kann nicht anders, als die schöne, hochgewachsene Frau mit den grünen Augen wie verblödet anzustarren. Aus der Nähe sieht man die Unterschiede zu Magraja, sie ist offenbar etwas jünger, das Haar ist durch die Strähnchen heller. Außerdem ist sie äußerst gepflegt und sehr gut geschminkt. Sie trägt ein grünes Seidenkleid, das zu ihren Augen passt. Man sieht, dass sie mit dem verblüfften Gesichtsausdruck ihres Gastes nichts anzufangen weiß.
Endlich gibt Nelly sich einen Ruck und folgt ihr in die schlichte, elegante Wohnung, die nach Geschmack und Geld riecht. Die Frau führt sie in einen in den Tönen Sand und Mokka eingerichteten Salon. Eine gläserne Schiebetür geht auf die blühende Terrasse hinaus. Der Straßenlärm klingt nur gedämpft herauf. Magrajas schöne Doppelgängerin lässt ihre Besucherin Platz nehmen und sieht sie fragend an. Nelly setzt sich auf das mokkabraune Sofa und räuspert sich.
»Sie werden sich bestimmt fragen, weshalb ich Sie um diesen Termin gebeten habe, Signora Simon.«
»Bevilacqua. Simon ist mein Mädchenname, und ich benutze ihn beruflich, aber eigentlich heiße ich Bevilacqua, das ist der Name meines zweiten Mannes«, sagt sie nickend, wie um zu bestätigen, dass sie sich tatsächlich fragt, was eine Kommissarin der Genueser Polizei so dringend von ihr wollen
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