Der Fluch vom Valle della Luna
er von hinten niedergeschlagen worden. Als er im Krankenhaus wieder aufwachte, waren das Foto, seine Papiere und die Kopie der Büroschlüssel geklaut. Die hatte er sich übrigens heimlich machen lassen, deshalb hat er nicht darüber reden wollen. Und das würde die Wanzen erklären, die bei Basile gefunden wurden. Also, ich weiß nicht.«
»Schon möglich, doch wer sollte sich mit ihm in Verbindung gesetzt haben? Sein Onkel Boboi? Der hatte keinen Grund, ihn umbringen zu wollen. Jemand von der Secci-Familie? Vielleicht wollen die nicht, dass die Geschichten von früher ans Licht kommen, aber was für eine Gefahr war Filippo für sie?«
Nelly schüttelte den Kopf. Dieses Verhör hatte die Sache alles andere als klarer werden lassen. Sie wollten gerade in ihre Wagen steigen, als Nelly sich einen Ruck gab und der Staatsanwältin darlegte, was ihr seit ein paar Tagen keine Ruhe mehr ließ. Antonella Pasqui hörte zunächst skeptisch und dann immer interessierter zu und gab schließlich der Bitte der Kommissarin nach.
»Hast du gesehen, zu was ich fähig bin? Hörst du jetzt endlich mal auf, dir Sorgen zu machen, und vertraust mir?« »Ich vertraue dir, aber es ist einfach stärker als ich. Ich komme mir vor ... ich komme mir vor wie ein von Hunden gehetzter Fuchs. Nein, werd’ nicht böse, geh nicht fort ...«
V
Der trügerische Frühling kannte keine Gnade, dabei war es schon Ende Mai. Der sonnenwarme Wonnemonat voller Liebe, Lieder und Gedichte. Wo das denn? Nelly schnaubte frustriert, wie so oft in letzter Zeit. Sie zog sich die Lederjacke eng um die Schultern und leckte an ihrem Eis, eine echte Herausforderung bei dem kalten Wind, der in der kleinen Bucht von Boccadasse über das Meer fegte, wo sie auf einem Felsen hockte und sich von der Gischt nassspritzen ließ. Ein perfekter Ort, um klare Gedanken zu fassen. Die Ermittlungen hatten nichts Neues ergeben. Der schwarze Peter war bei Filippo De Magistris hängengeblieben. Er war der Personenentführung und des Mordes angeklagt, wiewohl es von der Leiche keine Spur gab. Doch das Blut belastete ihn ... Blut. Wie auf dem Leibchen von Annabelle Simon. Es bleiben noch eine Menge unbeantworteter Fragen. Filippos Großmutter hat die Pisus ihm gegenüber angeblich nie mit den Kindesentführungen in Verbindung gebracht. Sie hätte ihm nur gesagt, sie seien der Grund für all ihr Unglück, vor allem Giacomo Pisu. Und – na, so ein Zufall – sie hätte erwähnt, dass die Mutter der Sogos-Brüder die Vendetta quasi der Magie anvertraut und die Pisus vor ihrem Tod mit dem ogu malu , dem bösen Blick belegt hat. Basile, der brave Mann, glaubt ihm. Und er ribbelt sich auf, um Beweise für seine Unschuld zu finden. Der arme Brigadiere. Gemma gehört ebenfalls zu den Unschuldsverfechtern – klar, sie liebt ihn – und sagt, die Behauptung, Filippo hätte ihre Schwester umgebracht, um Giancarlo in die Falle zu locken, sei völlig irrsinnig. Und ich? Was glaube ich? Um mit dem guten, alten Sokrates zu reden, ich weiß, dass ich nichts weiß. Für einen Philosophen mag das angehen, aber für einen Ermittler ist es ein Armutszeugnis.
Mit der freien Hand öffnete sie ihre Tasche und kramte eine Tüte mit Fotos heraus. Marco, der steif und fest behauptete, zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten oder Todesfällen würde die Maske auf den Gesichtern der Menschen durchscheinender und ließe etwas vom wahren Ich erkennen, hatte sie bei Giancarlo Pisus Beisetzung geschossen. Sie zog ein Foto hervor und hielt es fest, damit der Wind es nicht fortriss. Marco hatte Magraja fotografiert, allein, neben der Tür des Mausoleums. Die Schwarzweißfotografie brachte die makellose Schönheit der trauernden Frau voll zur Geltung. Nelly betrachtete sie lange und steckte das Bild schließlich in die Tasche zurück. Das gefällt mir alles ganz und gar nicht. Zu viele Schatten, zu viele Schatten ... und dann ist da noch Tano ...
»Ciao, Nelly.«
Die vertraute Stimme des Polizeivizes hinter ihrem Rücken ließ sie so sehr zusammenfahren, dass das Eis auf den Felsen klatschte. Eher verdattert als verärgert drehte sie sich um.
»Mist, mein Eis.«
»Ist das alles, was du mir zu sagen hast? Wenn’s nur das ist, ich kauf dir ein neues.« Er quetschte sich neben sie. Viel zu nah, für ihren Geschmack, doch sie wollte ihm nicht die Genugtuung geben, aufzustehen und wegzurennen.
»Ja, bitte sehr, geh zu Amedeo und kauf mir ein neues, ehe die zumachen. Halbgefrorenes, bei dem Mistwetter.
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