Der Fluch vom Valle della Luna
des Falls Ihrer Schwester, die etwas mit unseren derzeitigen Ermittlungen im Mordfall Pisu zu tun haben. Und mit der Entführung der Pisu-Schwester Marilena Pizzi. Die Familie Pisu stammt aus Luras, einem Dorf in Sardinien, unweit des Ortes, an dem Ihre Schwester entführt wurde.«
»Pisu ... Sie meinen Alceo, den Regisseur?«
Sie hält inne und blickt Nelly an, langsam scheint ihr etwas zu dämmern.
»Genau, wir ermitteln in seinem Tod. Sie kannten ihn?«
Isabelle zuckt mit den Schultern.
»Natürlich, alle kennen Alceo, oder kannten ihn. In unserer Branche, meine ich. Er war ein außergewöhnlicher Mensch, auch wenn er eine Schwäche für schöne Frauen und den Jetset hatte. Ein echtes Genie«, schließt sie überzeugt.
Der Moment ist gekommen. Sie zieht ein Foto aus ihrer Tasche und hält es Isabelle hin. Die greift danach, wird blass und sieht Nelly hilfesuchend an.
»Wer ... wer ist diese Frau?« Ihre Stimme bebt.
»Maria Grazia Pisu. Alceo Pisus jüngere Schwester.«
»Die sieht aus wie ich. Deshalb hat Alceo immer gesagt, ich würde ihn an eine seiner Schwestern erinnern. Von wegen erinnern, wir könnten Zwillinge sein!«
Wieder betrachtet sie eingehend das Foto. Nelly wartet schweigend.
»Und Sie glauben, diese Maria Grazia könnte meine Schwester Annabelle sein? Aber wie ist das möglich? Und das Blut, von wem stammt dann das Blut?«
»Nachdem ich Sie kennengelernt habe, Signora, gehe ich ebenfalls davon aus, dass Maria Grazia Pisu Ihre vor vierzig Jahren entführte Schwester ist. Die DNA-Analyse könnte dies nun noch belegen. Was die Herkunft des Blutes angeht, da gibt es mehrere Hypothesen, denen wir nachgehen müssen. Damals verschwand auch ein Mädchen der Familie Sogos, zu der Annabelles Entführer gehörten. Es könnte sich, doch das ist nur eine Vermutung, um ihr Blut handeln.«
Fassungslos über diese unerwarteten Neuigkeiten schüttelt Isabelle den Kopf.
»Sie können gern alle nötigen Tests machen, aber ich weiß es so oder so. Das ist Annabelle. Man muss uns doch nur ansehen. Da braucht’s keine DNA. Was werden Papa und Mama dazu sagen, wie wird das für sie sein? Sie sind nie mehr in Italien gewesen, nach der ... Sache mit Annabelle, wissen Sie? Sie sind nicht glücklich darüber, dass ich hier in Mailand arbeite und einen Italiener geheiratet habe. Sie hassen dieses Land, wer könnte es ihnen verübeln?«
Signora Bevilacqua schenkt sich einen zweiten großzügigen Cointreau ein und kippt ihn hinunter. Nelly hat vollstes Verständnis für sie. Was empfindet man, wenn man erfährt, dass die seit vierzig Jahren totgeglaubte Schwester unter anderem Namen putzmunter in demselben Land lebt wie man selbst?
»Und was passiert jetzt? Weiß diese ... diese Frau von Ihren Vermutungen? Ist sie bereit, eine DNA-Analyse vornehmen zu lassen?«
Nelly denkt an Magraja, die zurückgezogen in ihrer Wohnung lebt. Überzeugt, eine Pisu zu sein. So zerbrechlich. Sie denkt an den Tsunami, den die Entdeckung in den beiden Familien auslösen wird, ganz zu schweigen von den juristischen Folgen. Einen Moment lang geht ihr durch den Kopf, dass es vielleicht besser gewesen wäre, nicht an der Sache zu rühren. Sie schließt die Augen, dann öffnete sie sie wieder und sieht Isabelle an.
»Nein, Signora. Maria Grazia Pisu weiß von nichts, und ich glaube, diese Neuigkeit wird ihr Leben auf den Kopf stellen. Sie ist ein sehr fragiler Mensch. Man muss äußerst behutsam vorgehen. Ich möchte Sie auch bitten, Ihren Eltern nichts zu sagen, bis wir nicht ganz sicher sind.«
»Fragil? Was glauben Sie, wie ich mich fühle, und ich bin alles andere als fragil. Nein, ich werde meinen Eltern natürlich nichts sagen. Das wäre unverantwortlich. Sagen Sie mir, was ich für diese DNA-Analyse tun muss, ich stehe zu Ihrer Verfügung.«
VIII
»Dottoressa Rosso, die von Ihnen beauftragten Laborergebnisse sind da. Bitte.« Valeria legte ihr ein paar Blätter auf den Tisch. Nelly bedankte sich abwesend und griff danach, während Valeria sich taktvoll zurückzog. Aufgeregt überflog sie die Zeilen, die ihr in nüchternem Fachjargon mitteilten, was sie seit ihrem Besuch bei Isabelle Simon Bevilacqua in der vergangenen Woche ohnehin bereits wusste. Und dazu noch vieles mehr, was sie niemals vermutet hätte. Sie sprang auf und rannte zu Tanos Büro, doch der war nicht da. Auf dem Rückweg traf sie Marco Auteri.
»Marco, komm mit, ich hab hier eine unfassbare Bestätigung. Du wirst es nicht glauben. Komm in mein Büro,
Weitere Kostenlose Bücher