Der Fluch vom Valle della Luna
Haselnuss und Creme, danke.« Ungerührt beobachtete sie die Möwen, die über den schäumenden Wellen ihre halsbrecherischen Kunststücke vollführten. Er stand auf und ging zur Eisdiele hinüber. Die Straßenlaternen flackerten auf. Leicht schaudernd vor Kälte hockte Nelly da und sog die salzig duftende, gischtgesättigte Luft ein. Ein paar Minuten später kehrte er zurück, hielt ihr das Eis hin und setzte sich neben sie. Eine unwirkliche Stille umfing sie. Nach einer Weile hatte Nelly das Spielchen satt.
»Was soll das sein, ein Schweigewettbewerb? Was willst du, Tano? Und wie hast du mich überhaupt gefunden?«
Verärgert sah sie ihn an und leckte an dem letzten Rest ihres Eises. Sein grimmiges Lachen ließ Nelly erschaudern, diesmal nicht vor Kälte.
»Ich bin nun mal Ermittler, nicht wahr? Unter Folter hat die arme Valeria doch noch den Mund aufgemacht. Sie hat mir verraten, dass die Dottoressa gerade weg sei und gemeint habe, sie wolle in Boccadasse ein Eis essen gehen.«
»Und was zum Teufel willst du, Tano? Seit Wochen würdigst du mich keines Blickes und behandelst mich wie eine Aussätzige, und jetzt stellst du mir nach. Klär mich auf.«
Nelly war bei der Waffel angelangt. Argwöhnisch starrte sie ihn an. Seine Nichtachtung hatte ihr weh getan, und zwar viel mehr, als sie sich selbst hatte eingestehen wollen. Der Polizeivize ließ den Blick über die Bucht schweifen, die jetzt im aufkommenden Sturm noch berückender war als bei Sonnenschein und postkartenblauem Himmel. Die Kirche von Sant’Antonio rechts oben, die Fischerhäuser ringsum, linker Hand das Restaurant Santa Chiara mit der Terrasse aufs Meer hinaus. Mittendrin der Kieselstrand, an dem die Kinder bei schönem Wetter spielten. Die Fischer hatten ihre Boote zum Schutz vor der Flut hoch oben aufs Trockene gezogen. Es war Samstag, die Lampen der Restaurants leuchteten über den Tischen im Freien und den wagemutigen Gästen, die dem unfreundlichen Wetter trotzten und das Wellenspektakel von der Terrasse aus genießen wollten. Tano sah sie nicht an. Langsam schüttelte er den Kopf.
»Ich war stinkwütend. Ich wollte die Sache zwischen uns beenden.« Nellys Herzschlag setzte aus, doch sie sagte nichts und wartete. Wie immer suchte er nach den richtigen Worten. Selbst wenn er in Schwierigkeiten war, verlor Tano niemals die Kontrolle und suchte nach der besten Lösung, dachte Nelly ironisch.
»Aber ich schaffe es nicht. Und was für einen Sinn hätte das auch? Wieso sollten wir einander weh tun? Dir ging’s in diesen Tagen doch auch nicht gut, oder, Nelly?« Elender Mistkerl, das weißt du doch genau.
»Was willst du, Tano? Weil du es gerade nicht über dich bringst, mit mir Schluss zu machen, soll ich Mitleid mit dir haben und darauf warten, dass du früher oder später die Kraft dazu findest? Was erwartest du von mir? Das nächste Mal werden wir wieder an genau dem gleichen Punkt sein. Es funktioniert einfach nicht. Weder ich noch du sind für halbe Sachen. Also lassen wir’s lieber sein und halten den Schaden begrenzt, findest du nicht? Dann können wir wenigstens Freunde bleiben ...«
Tano fuhr zu ihr herum und packte ihren Arm.
»Von wegen Freunde. Ich bin nicht dein Freund, Nelly, und ich werde es auch nie sein. Ich bin in dich verliebt und halte es ohne dich nicht aus. Keine Ahnung, was die Zukunft bringt, aber jetzt ist es so. Ich weiß, dass ich alles kaputtgemacht habe, weil ich brennend eifersüchtig auf Carlo bin, auf deinen Sohn, sogar auf deine blöden Katzen.« Er holte tief Luft. »Ich weiß, wenn ich liebe, bin ich nervig und unausstehlich. Wäre dir lieber, ich liebte dich nicht? Es wäre mir egal, mit wem du zusammen bist, wie du deine Tage verbringst? Ob du bei mir bist oder nicht?«
Nelly spürte, wie sie dahinschmolz, und hasste sich dafür. Sie war durch ein Dornenfeld gegangen und hatte es fast geschafft. Wenn sie jetzt nachgab, würde alles wieder von vorn beginnen, mit dem gleichen Leid, der gleichen Zerrissenheit. Stattdessen griff sie nach seiner Hand und drückte sie.
»Ich liebe dich auch, Tano. Und das weißt du genau und nutzt es aus, du Mistkerl.«
Triumph blitzte in seinen blauen Augen auf, doch Nelly war es gleich. Auch sie hatte gesiegt, und die Zukunft spielte keine Rolle.
VI
Valeria war unzufrieden, etwas stimmte nicht. Nelly bemerkte es sofort, als sie das Vorzimmer zu ihrem Büro betrat.
»Dottoressa, was diese Recherche betrifft, um die Sie mich gebeten hatten, Sie wissen schon, über die
Weitere Kostenlose Bücher