Der Fluch vom Valle della Luna
aufhorchen lassen. Die Stammpatientinnen? Patienten nicht? Na ja, hatte Valeria herumgedruckst, es hätte etwas seltsam ausgesehen, wenn er auch männliche Patienten gehabt hätte, auch wenn nach der Sache mit der Transsexuellen, die ein Kind bekommen hatte, alles möglich schien. Valeria kicherte verschmitzt. Das war doch ganz einfach: Dottor Sanmarco war Gynäkologe.
XV
Während sie mit dem Dienstwagen zu Dottor Sanmarco fuhr, dachte Nelly über diesen eigenartigen Umstand nach. Ein Gynäkologe für eine Achtzigjährige mit einem Schlaganfall. Seltsam. Vielleicht war er ein alter Freund der Familie. Sie sah zu Gerolamo hinüber, der neben ihr auf dem Beifahrersitz saß und in die graue, stürmische Landschaft hinausblickte. Wie immer, wenn er nicht gefragt wurde, blieb er stumm.
»Gerolamo, was hältst du von Filippo De Magistris? Glaubst du, er ist unser Mann und für alles verantwortlich, was den Pisus seit Giacomos Autounfall zugestoßen ist, rein theoretisch und ganz abgesehen von irgendwelchen Beweisen?«
Gerolamo musste nicht lange nachdenken. Er antwortete mit einer Gegenfrage.
»Haben die Zweifel des Brigadiere Sie angesteckt, Dottoressa?«
Nelly fühlte sich ertappt. War es so? Hatte Basiles verzweifeltes Beharren auf Filippos Unschuld ihre Überzeugung von Filippos Schuld ins Wanken gebracht? Nein, das war es nicht allein. Da war auch noch Panni Sogos und seine Bitte, nach bestem Gewissen zu ermitteln, und dazu ihre eigenen Zweifel. Aber gab es die nicht immer?
»Schon möglich, Gerolamo. Aber irgendwas überzeugt mich nicht, Basile hin oder her.« Sie sah ihn an. »Was meinst du? Haben wir wirklich ins Schwarze getroffen und können uns jetzt beruhigt zurücklehnen?«
Der Chefassistent kniff die Augen zusammen, als wollte er einen flüchtigen Gedanken festhalten.
»Es gibt ein Motiv. Giacomo Pisu hat Filippos Großonkel unter die Erde und den Großvater in den Knast gebracht. Und vielleicht wäre seine Mutter auch nicht so jung an Drogen gestorben, wenn seine Großmutter sie nicht durch halb Italien gezerrt hätte, um vor der Vergangenheit zu fliehen. Dass er also mit Giacomo Pisu eine Rechnung begleichen will und ihn überfährt, ist denkbar. Aber sämtliche Kinder, all die Unfälle und Morde ...«
Er holte tief Luft und blickte wieder aufs Meer hinaus, über dem ein Blitz die grauen Regenwolken zerriss.
»Kommt auf den Charakter an. Wenn einer von der Idee besessen ist, sich zu rächen und sich durch nichts davon abhalten lässt ... Aber wirklich überzeugen tut’s mich auch nicht.«
Sie hatten soeben Ruta erreicht, das in feuchtem Dunst versank. Das Gewitter war in vollem Gange, man kam kaum voran. Nelly fuhr an den Straßenrand und schaltete den Motor ab.
»Es könnte auch sein«, fuhr Gerolamo fort, »dass er das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden hat, wie man so schön sagt. Er wollte eine Genugtuung für das verhunzte Leben seiner Familie und dazu noch einen Haufen Geld machen, und dafür war die Pizzi ideal. In ihrem Fall, und das dürfen wir nicht vergessen, geht es nicht nur um Rache. Was ist mit den fünf Millionen?«
Nelly musste über Gerolamos Ernsthaftigkeit lachen.
»Genau, die fünf Millionen, wo hat er die gelassen? Filippo schwört, er hätte nicht einen Cent gesehen, aber das Geld ist genauso verschwunden wie die Pizzi.«
Der Regen hatte ebenso plötzlich nachgelassen, wie er gekommen war, und Nelly fuhr weiter, bis sie auf halbem Weg zwischen Ruta und San Rocco rechts die Einmündung einer creuza erblickte, die der Arzt Valeria beschrieben hatte. Sie parkte. Inzwischen war die Sonne wieder hervorgekommen und verwandelte die wassertriefende Landschaft in ein glitzerndes Spektakel. Nelly schloss den Wagen ab und ging mit Gerolamo den steilen, mit Ziegeln gepflasterten Weg hinunter. Schon bald tauchte auf der rechten Seite ein Tor in der Mauer auf, das zum Haus des Doktors führte. Darüber eine Kamera. Dazu eine ebenfalls mit Kamera ausgestattete Gegensprechanlage. Die beiden Polizisten sahen sich an. Entweder der Arzt ließ es sich an nichts fehlen, oder er litt an Verfolgungswahn. Sie wollten gerade klingeln, als das Tor sich knarrend öffnete und sie einließ. Mit einem trockenen Klacken fiel es hinter ihnen ins Schloss.
»Was für ein Paradies!«, zischte Gerolamo.
Nelly pfiff leise. Der weitläufige Park war in goldglitzerndes Sonnenlicht getaucht und zog sich in weiten Terrassen zum Meer hinunter. Ein gepflasterter Weg führte zur Villa, die sich
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