Der Fluch vom Valle della Luna
Blumenbeete und Bänke ringsum eingeplant hat, um alles ein wenig freundlicher und einladender zu gestalten.
»Guten Tag, Dottoressa, wie geht es Ihnen?«
Susanna Pizzi steht in schwarzen Leggins vor ihr, die ihre langen Beine zur Geltung bringen. Sie sieht aus, als hätte sie das Erstbeste angezogen, was sie in die Finger bekommen hat, und das farbige Hemd und die Jeansjacke wollen beim besten Willen nicht zum sonst eher strengen, konservativen Stil der Frau passen. Ihr ungeschminktes Gesicht ist blass und schutzlos. Gequält.
»Danke, gut, Dottoressa Pizzi. Ich frage Sie nicht, wie es Ihnen geht, ich kann es mir leider denken. Setzen Sie sich doch.«
Mit verkniffenen Lippen lässt sich Susanna Nelly gegenüber auf einen Stuhl sinken.
»Ich darf wohl nicht hoffen, dass es Neuigkeiten bezüglich meiner Mutter gibt, stimmt’s?« Sie blickt Nelly bitter an. »Vielleicht ist es auch besser so. Manchmal habe ich Angst, dass es welche geben könnte. Dass ihre Leiche gefunden wird und alles zu Ende ist, auch die Hoffnung.« Sie ringt sich ein Lächeln ab. Sie tut Nelly leid. Irgendwie mag sie diese junge, taffe Frau.
»Sie haben recht, es gibt keine Neuigkeiten. Aber ich versuche noch immer, Licht in Ihr Familiengeheimnis zu bringen, und Sie und Magraja sind die einzigen Quellen ...«, die noch geblieben sind, kann sie sich gerade noch verkneifen und sagt stattdessen: »die ich habe.«
Susanna nickt resigniert. Der Kellner kommt, Susanna bestellt einen Weißwein und eine Scheibe Focaccia und sieht Nelly abwartend an.
»Sicher kennen Sie Dottor Sanmarco, den Freund Ihres Großvaters ...«
Susannas Reaktion überrascht Nelly. Ihre Miene verfinstert sich. Zwischen ihren Brauen entstehen zwei tiefe Falten.
»Der liebe, nette Onkel Attilio. Dieses Aas. Verzeihung, Dottoressa, aber ich kann diesen Heuchler einfach nicht ausstehen. Von wegen Freund ... Ich bin mir gar nicht so sicher, ob er und mein Großvater befreundet waren. Mal ganz abgesehen davon, dass nonno Giacomo bei seinem Charakter vermutlich generell keine Freunde hatte, sondern höchstens Geschäftspartner, die nach seiner Pfeife tanzen mussten.«
Sie denkt kurz nach, vielleicht ist sie unsicher, ob sie derlei Familienangelegenheiten preisgeben soll, dann fährt sie fort, und Nelly hört gespannt zu.
»Meine Mutter hat mir erzählt, dass er meine stets kränkelnde Großmutter behandelt hat und vor vielen Jahren auch Magraja, wegen psychischer Probleme. Magraja litt als Kind wohl unter schweren Depressionen. Auch deshalb hatte sie Schwierigkeiten in der Schule. Sie fehlte oft, manchmal monatelang, es ist sogar möglich – ich weiß es nicht mit Sicherheit –, dass sie sie in eine Nervenklinik eingewiesen haben. Um diese Angelegenheit hat sich Onkel Attilio gekümmert.« Beim Aussprechen seines Namens verzieht sie den Mund, und Nelly ist überrascht, einen derart blankliegenden Nerv getroffen zu haben.
»Wieso nennen Sie ihn einen Heuchler und meinen, er und Ihr Großvater seien sich nicht wirklich grün gewesen?«
»Meine Mutter erzählte mir, im letzten Jahr vor Großvaters Tod sei es zwischen den beiden zu einem Bruch gekommen, wenn auch zu keinem dramatischen. Er kam nicht mehr so oft zu uns und nur, wenn mein Großvater nicht da war. Wenn man von ihm sprach, bekam mein Großvater schlechte Laune und wechselte das Thema.«
Susanna hält inne, der Kellner hat das Weinglas und die Focaccia auf den Tisch gestellt. Ehe sie fortfährt, trinkt sie das halbe Glas aus.
»Aus diesem Grund waren meine Mutter und ihre Geschwister erstaunt, dass er ihm ausgerechnet im letzten Jahr achthunderttausend Euro überlassen hat. Aber so war Großvater Giacomo nun mal, er tat, was er wollte, und basta. Vielleicht wollte er sich für Onkel Attilios Dienste erkenntlich zeigen, aber das glaube ich kaum. Mein Großvater ... Na ja, ich schätze, er wusste noch nicht einmal, was das Wort Dankbarkeit bedeutet.«
Nelly ist sprachlos.
»Er hat ihm achthunderttausend Euro überlassen ? Einfach so?«
Susanna zuckt mit den Schultern.
»Haben Sie da nicht an Erpressung gedacht?«
Jetzt macht Susanna ein verdattertes Gesicht.
»Erpressung? Gütiger Himmel, Dottoressa Rosso, nein, daran hat keiner gedacht. Außerdem ist das Geld nicht direkt an ihn gegangen, sondern an eine von ihm gegründete Stiftung, einen Wohltätigkeitsverein, der Kindern in armen Ländern hilft. Wie gesagt, Großvater war ein Despot, sein Wille war Gesetz. Und Onkel Attilio war jemand, der, ob man es
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