Der Fluch vom Valle della Luna
Frühling ausgefallen war? Ihre Füße trugen sie zu Beppe. Sie wollte gerade die Tür aufdrücken, als sie durch die Scheibe Basile mit Gianni zusammensitzen sah. Erregt und mit geröteten Wangen redete Gianni auf ihn ein, als wolle er ihn von etwas überzeugen. Der Brigadiere saß zusammengesunken und mit hängendem Kopf daneben und zeigte keine Reaktion. Nelly glaubte zu wissen, worum es ging. Filippo. Immer Filippo. Gianni schien sich in der Rolle des Trösters zu gefallen, jetzt, da sein Freund endlich nicht mehr gut gelaunt und vielbeschäftigt war. Wir sind allesamt Egoisten, auch wenn wir es nicht merken. Armer Basile ... Aber ich habe keine Lust, ihn zu treffen. Bloß weg. Nelly machte auf dem Absatz kehrt. Was sollte es, sie würde sich den Cappuccino aus der Bar ins Präsidium bringen lassen.
Doch auch dort war das Schicksal gegen sie. Kaum hatte sie die Polizeistation betreten, lief sie dem normalerweise ziemlich griesgrämigen Commissario Lojacono in die Arme. Heute schien er ausnahmsweise mal bester Dinge zu sein, und das verhieß nichts Gutes. Er musterte sie kalt, ein falsches Lächeln auf den Lippen.
»Hey, Nelly, wie geht’s? Siehst in letzter Zeit ein bisschen bedrückt aus. Läuft’s schlecht? Der Job, die Liebe? Ach ja, immer allein, dein Seemann weit weg, kein Wunder, dass man da schlechte Laune kriegt ...«
Woher wusste dieser Mistkerl von ihr und Carlo? Spionierte er ihr Privatleben aus? Wusste er vielleicht auch von ihr und Tano? Elender Schnüffler.
»Wieso kümmerst du dich nicht um deinen eigenen Kram, Lojacono?«, entgegnete sie zuckersüß und ließ ihn einfach stehen. Doch Lojacono dachte nicht daran, von ihr abzulassen.
»Unser schöner Polizeivize ist heute nicht da. Er hat familiäre Probleme. Wusstest du das nicht? Dabei seid ihr doch ganz dicke ...«
Nelly zwang sich, sich nicht umzudrehen, doch kaum war er verschwunden, rannte sie die Treppe hinauf. Familiäre Probleme? Welche konnten das sein? Und wieso hatte Tano ihr nicht Bescheid gesagt? Sie stürmte in ihr Büro und sah, dass Valeria nicht an ihrem Platz war. Seltsam. In dem Moment erschien die sonst so ausgeglichene und gutgelaunte Valeria mit ungewöhnlich angespannter Miene in der Tür.
»Dottor Esposito hat angerufen und gesagt, dass er heute nicht ins Büro kommt. Sein Sohn Massimo hatte einen Mopedunfall, er wusste noch nichts Genaues. Er ist sofort nach Florenz gefahren, wo der Junge studiert, und hat mich gebeten, Sie davon in Kenntnis zu setzen. Er wird sich so bald wie möglich melden.«
Als sie Nellys bestürztes Gesicht sah, fügte sie hinzu: »Hoffen wir mal das Beste, der arme Dottor Esposito. Es ist entsetzlich, wenn den Kindern etwas zustößt, etwas Schlimmeres kann man sich nicht vorstellen.« Valeria, die selbst Zwillinge hatte, wusste wovon sie sprach.
»Wann hat Dottor Esposito angerufen?«
»Vor rund einer Stunde. Ich war gerade gekommen.«
Soll ich ihn anrufen, soll ich ihn nicht anrufen? Ich warte besser, bis er mich anruft. Ich möchte ihm beistehen, aber wie? Ihr Herz gebot ihr, sofort nach Florenz aufzubrechen, um Tano nahe zu sein, doch die Vernunft riet ihr davon ab. Besser abwarten. Sie zwang sich zur Routine und bat Valeria, ihnen beiden Kaffee und Croissants in der Bar zu bestellen.
Vergeblich versuchte Nelly, sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken spielten verrückt. Massimo ... Ein hübsches, sportliches Kerlchen, kaum jünger als Mau. Gütiger Himmel, hoffen wir, dass nichts Schlimmes passiert ist ... Zum Glück kam Valeria mit den Kaffee und Croissants herein, und die beiden Frauen gönnten sich eine kleine Pause.
»Hast du was über Dottor Sanmarco und seine Familie rausgekriegt, Valeria?«
Sie hatte die Frage fast automatisch gestellt. Seit sie von der nicht unerheblichen Spende erfahren hatte, war der Arzt ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Valeria wurde plötzlich hellwach. Natürlich hatte sie etwas herausbekommen. Nicht viel, aber immerhin. Sie hielt Nelly eine Mappe hin. Die griff danach, bedankte sich und war nicht mehr ansprechbar.
Dottor Sanmarco war in Vicenza geboren, das Kind einer einfachen Bauernfamilie, aber er war intelligent, hatte Medizin studiert und war nach dem Examen nach Genua gezogen. Dort hatte er sich auf Geburtsheilkunde und Gynäkologie spezialisiert, und in den städtischen Krankenhäusern als Assistent namhafter Professoren gearbeitet. Dennoch hatte er es nicht bis zum Chefarzt gebracht. Seine Frau hatte Eliana Basso geheißen, sie war
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