Der Fluch vom Valle della Luna
und verstand sofort. Sie hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sämtliche Floristen ausfindig zu machen, und jetzt stand man wieder am Anfang. Sie teilte Nellys Frust.
»In Ordnung, Dottoressa. Bis später.«
Nelly sauste hinaus und landete in Tanos Armen.
»Holla, nicht so schnell, Dottoressa Rosso. Auf dem Weg zu einem romantischen Date?«
Diesmal konnte selbst sein Lächeln nichts mehr retten. Er machte ihr ein Zeichen, mit in sein Büro zu kommen, und sie folgte ihm widerwillig. Er schloss die Tür, hob ihr Kinn und küsste sie sanft. Doch so leicht war ihre miese Laune nicht zu zerstreuen.
»Lass mal lieber. Du weißt doch, dass ich das im Büro nicht mag. Wenn jetzt jemand reinkommt ...«
Er ließ nun ebenfalls verstimmt von ihr ab.
»Weißt du, was ich glaube, Nelly? Dieser Pisu-Fall macht dich krank. Der frisst dich komplett auf. Du bist völlig besessen. Gib endlich Ruhe, sonst endest du noch wie dein Brigadiere, der mit irrem Blick durch Genua streift, auf der Suche nach Beweisen, die seinen De Magistris entlasten. Beweise, die es nicht gibt.« Er schüttelte sie sanft. Nelly machte sich von ihm los.
»Vielleicht hast du recht. Ich sage ja auch gar nicht, dass er unschuldig ist. Marilenas Entführung könnte mit den Fällen des Vaters und der Brüder nichts zu tun haben, auch wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass nicht derselbe Täter dahintersteckt ... Ich weiß nicht, denkst du nicht, er könnte einen Komplizen haben? Aber im Mordfall von Alceo treten wir ebenfalls auf der Stelle, und jetzt auch noch diese Kränze mit der Aufschrift O. M. ...«
Tano grinste. »Vielleicht wollte er G.M.O. schreiben. Ein Öko-Freak, der gegen genetisch modifizierte Organismen ist und glaubt, die Pisus seien welche. Deshalb hat er sie aus dem Verkehr gezogen.« Dann wurde er wieder ernst. »Die Sache mit den Kränzen ist also eine Sackgasse.«
Nelly fühlte sich plötzlich unendlich müde.
»Mach du nur deine blöden Witze. Und besucht mich mal im Irrenhaus, wenn ich als Gefahr für mich und meine Umwelt eingeliefert worden bin.«
»Komm, lass uns heute Abend ausgehen. Ich hab von einer wahnsinnig guten Trattoria im Hinterland gehört ...«
Nelly zögerte, doch nur kurz. Wieso sich das Leben vermiesen? Seit ein paar Tagen aß sie schlecht und wenig. Sie lächelte ihn zustimmend an, einen Moment lang mit dem Leben versöhnt. Eine plötzliche Idee durchfuhr sie, ein letzter Strohhalm, an den sie sich klammerte, und sie kehrte hastig in ihr Büro zurück.
»Valeria, tu mir einen Gefallen. Such mir bitte alles über diesen Dottor Attilio Sanmarco raus, über seine Familie. Jede Kleinigkeit. Du weißt schon, was ich meine.«
Valeria sah sie verdattert an.
»Okay, Dottoressa.«
XVIII
Das Abendessen mit Tano hatte sich als masochistische Orgie erwiesen. Er war mit ihr ins Hinterland gefahren, zu einer kleinen Bergpension, die den Städtern einst als Sommerresidenz gedient hatte. Das abgelegene Lokal war voller essensfreudiger Gäste. Tano, der normalerweise für raffinierte oder zumindest sehr gut zubereitete Speisen in gediegener Atmosphäre war, hatte diesmal eine typisch ligurische Trattoria ausgewählt, in der es lokale Gerichte in gigantischen Portionen gab. Die Qualität war hervorragend und der Quantität ausnahmsweise einmal nicht proportional entgegengesetzt. Schon eine Vorspeise reichte für zwei. Danach stopfte sich Nelly mit Pesto- trofie und geschmortem Zicklein voll und musste bei der crema catalana heimlich den Reisverschluss ihrer Jeans öffnen. So landete sie halb betrunken und mit schwerem Magen in Tanos Wohnung, brach angezogen auf seinem Bett zusammen und machte Tanos amouröse Hoffnungen zunichte.
Dafür ist Tano am folgenden Morgen zum Zug gekommen, und so fühlt sich Nellys Psyche sehr viel besser an, auch wenn die Taille wieder ein wenig zugelegt hat. Es ist Donnerstag, und sie hat sich mit Susanna Pisu, die bald zu ihrer Familie nach Amerika zurückkehren wird, in der Bar dell’Accademia unter den Arkaden der Piazza De Ferrari verabredet. Tano hat das Telefonat zähneknirschend mit angehört und sich gefragt, wann Nelly endlich von diesen Verdammten ablassen wird. Seit einer Viertelstunde sitzt sie nun vor der Bar und trinkt ungeduldig ihren zweiten Cappuccino, dem bereits zwei zum Frühstück bei Tano vorangegangen sind. Blasses Sonnenlicht glänzt im Brunnenwasser, und Nelly fragt sich zerstreut, weshalb man bei der Restaurierung des Platzes nicht ein paar
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