Der Fluch vom Valle della Luna
lassen ...
Celsi winkt sie heran, und Nelly hangelt sich an den Sträuchern entlang zu ihm. In den letzten Tagen hat es ausnahmsweise mal nicht geregnet, und auf dem trockenen Boden bleiben keine Spuren zurück. Celsi hält ihr den Spazierstock hin, der nicht weit von der Leiche gefunden wurde. Er ist zerbrochen.
»Er muss genau hier gestolpert sein, wo man nichts sieht und sich unter dem Gestrüpp der Abgrund auftut. Unser Toter hat das Gleichgewicht verloren und ist in die Tiefe gestürzt. Die Landung war alles andere als weich.«
»Könnte er nicht gestoßen worden sein?«
»Natürlich könnte er, Dottoressa Rosso. Man muss nur die Indizien dafür finden. Bisher lässt sich noch nichts sagen, wir müssen erst die Fundstücke auswerten.«
Dottor Parodi kommt hinzu. »So wie es aussieht, handelt es sich um einen banalen Unfall. Aber warten wir das Autopsieergebnis ab ...«
Nelly nickt abwesend. Auf der Suche nach Dottor Sanmarco ist die ganze Gegend durchstreift worden. Es wird nicht einfach sein, eventuelle Indizien zu finden. Sein Sohn kommt auf sie zu, der Fund des toten Vaters hat ihn geschockt. Er hatte eine Art Nervenzusammenbruch. Jetzt wirkt er gefasster.
»Bleibst du hier, Marco? Ich rede mit dem Sohn und den Bediensteten, okay?«
Zusammen mit Severo macht Nelly sich an den mühsamen Aufstieg Richtung Villa. Der Arzt muss wirklich sehr an seinem Hund gehangen haben, um bis dort hinabzusteigen. Und wie wollte er wieder hinaufkommen? Wie den Hund hinaufbringen? Im Arm, allein? Wäre er in Begleitung gewesen, hätte er es versuchen können. Aber wer sollte das gewesen sein? Irina hat niemanden gesehen, und Severo war angeblich nicht da.
Sie steigen noch immer bergan. Severo ist sportlich und zeigt keinerlei Erschöpfung. Auch Nelly ist ausdauernd, doch ihr Atem wird schwer. In letzter Zeit hat sie das Joggen im Righi ziemlich vernachlässigt. Den ganzen Weg über reden sie kein Wort. Als sie endlich das Haus erreichen, steuert Severo schnurstracks auf die gläserne Hausbar zu. Er öffnet sie und sieht Nelly fragend an. Sie winkt ab. Wie gerne würde ich mir einen Whisky hinterkippen! Er hingegen greift nach einer Flasche zwanzigjährigem Laphroaig und gönnt sich ein randvolles Glas.
Sie setzen sich, aber nicht in das kleine Wohn- und Studierzimmer, das Nelly bereits kennt, sondern in einen größeren Raum, einen geräumigen, behaglich eingerichteten Salon. Auch hier sind Sofa und Sessel mit geblümtem Chintz bezogen. Luxuriöser Landhausstil. Ob das dem Geschmack der verstorbenen Ehefrau geschuldet ist?
»Das, was Ihrem Vater zugestoßen ist, tut mir sehr leid, Dottor Sanmarco.«
Der junge Mann sieht sie an und kippt sein Glas in einem Zug hinunter. Nicht schlecht.
»Ja, mir tut es auch leid. Mit wem soll ich mich denn jetzt zanken?« Er lächelt traurig. Nelly denkt an Susanna, die auch geglaubt hatte, ihre Mutter nicht leiden zu können.
»Wo waren Sie heute Morgen, Dottore?«
»Ich bitte Sie, nennen Sie mich nicht Dottore. Das klingt, als wäre ich plötzlich mein Vater, und das mag ich nicht. Nennen Sie mich Severo. So alt bin ich doch noch nicht, oder? Ich werde sechsundzwanzig. Wo ich heute Morgen war? Im Bett mit meiner Freundin, sie heißt Manuela Pittaluga, das können Sie gern überprüfen. Gestern Abend ist es spät geworden, und heute früh haben wir bis nach eins geschlafen, das Telefon hat uns geweckt. Es war Irina. Den Rest kennen Sie.«
Manuela Pittaluga? Das hier ist der Freund von Manu, Monicas Schwester? Der Ex meines Sohnes? Wie klein Genua doch ist!
»Das werden wir überprüfen. Reine Routine. Wann haben Sie Ihren Vater zum letzten Mal gesehen? Ich meine lebend.« Severo steht auf und gießt sich ein zweites Glas ein.
»Das letzte Mal? Lassen Sie mich nachdenken ... Das muss letzte Woche gewesen sein, als Sie hier waren. Ja, so ist es. Wir haben uns nicht gerade toll verstanden, das sagte ich Ihnen bereits.« Das zweite Glas endet wie das erste.
»Wieso hatten Sie kein gutes Verhältnis?«
Er zuckt die Achseln. »Tja. Die üblichen Spannungen zwischen Vater und Sohn, denke ich. Nichts wirklich Wichtiges. Und jetzt ist es vorbei. Irgendwie hatte ich immer geglaubt, mein Vater wäre unsterblich.« Wieder lächelt er sein Nicht-Lächeln.
»Ihr Vater war jahrzehntelang mit Giacomo Pisu befreundet und hat die Frauen der Familie medizinisch betreut: die Ehefrau Lorenza und die Töchter Marilena und Magraja. Kennen Sie sie?«
»Aber klar. Allerdings nur dem Namen nach.
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