Der Fluch vom Valle della Luna
Kleidung und Medikamente zu sammeln und in die armen Länder zu schicken. Einige sind auch selbst hingefahren und haben eine Zeitlang ehrenamtlich in Krankenhäusern und Waisenhäusern gearbeitet. Zunächst ist die Hilfe nach Südamerika und Afrika gegangen, nach dem Mauerfall dann nach Osteuropa und schließlich auch in muslimische Länder, in erster Linie nach Afghanistan. Die achthunderttausend Euro? Die sind angeblich an mehrere Krankenhäuser und humanitäre Hilfsorganisationen in Afghanistan überwiesen worden. Alles scheint einwandfrei, doch dort unten zu ermitteln dürfte schwierig sein. Die Stiftung hat einen guten Ruf und arbeitet mit minimalen Verwaltungskosten. Sie erhält viele, teils großzügige Spenden. Bis heute reist Sanmarco für mehrere Wochen im Jahr in zahlreiche Länder – gerade ist er in Afghanistan gewesen – und hilft, wo es nötig ist. Auch einige der Mitglieder – Ärzte, Krankenschwestern und Hebammen – machen sich ein paar Wochen im Jahr für ein symbolisches Gehalt nützlich, wo sie gebraucht werden.
Nelly schreibt sich ein paar Adressen der Wohltäter und Sponsoren heraus. Sie verspricht sich davon nicht viel, doch sie will mehr über Futuro wissen, so unbescholten die Stiftung auch zu sein scheint. Und wer ihr wohl am meisten darüber erzählen kann, ist kein anderer als Sanmarco selbst.
XX
Doch das Schicksal wollte es, dass Nelly nicht mehr zu ihrer Unterredung mit Dottor Sanmarco kam. Zur selben Zeit, als Nelly die Kontoauszüge des verstorbenen Giacomo Pisu studiert hatte, war Attilio Sanmarco aus seiner Villa in Ruta verschwunden. Er war morgens aufgestanden und hatte wie immer im kleinen Salon gefrühstückt, in dem er Nelly und Gerolamo empfangen hatte, dann war er, gefolgt von seinem Pointer, in den Park zum Olivenhain hinunterspaziert. Bis dahin war alles wie immer. Gegen Mittag hatte seine schwangere Haushälterin Irina dann gemerkt, dass er nicht zurückgekommen war. Für gewöhnlich saß er um diese Zeit auf der Terrasse und rauchte eine Zigarre. Sie war durch den Park gegangen, hatte im Olivenhain nachgesehen, doch sie hatte ihn nicht gefunden. Nicht allzu besorgt war sie ins Haus zurückgekehrt. Um eins hatte Nelly angerufen, um einen Termin zu vereinbaren, und allmählich begann Irina unruhig zu werden, denn ihr Arbeitgeber war ein Gewohnheitsmensch, der stets pünktlich um halb eins zu Mittag aß. Also hatte sie sich der Kommissarin anvertraut. Der Sohn wurde angerufen, und die Suche begann, die zunächst erfolglos blieb, bis Nelly, Gerolamo, Severo Sanmarco und Mario, der Gärtner, das gedämpfte Bellen eines Hundes hörten. Sanmarcos Pointer? Sie hatten laut nach ihm gerufen und waren seinem Jaulen in die dichte Macchia gefolgt, die sich unterhalb der Gartenterrassen zum Meer hinunterzog. Bis ganz nach unten, wo eine Art Pfad zu erkennen war und sich plötzlich ein steiler Abhang auftat. Dort, am Fuße des Felsens, hatte der Arzt den Tod gefunden. Neben ihm kauerte jaulend sein schwerverletzter Hund. »Dieses Gelände ist ganz schön tückisch, nicht nur für einen alten Menschen. Was hat Sanmarco bloß hier unten zu suchen gehabt?«
Nachdenklich betrachtet Marco den vom rotweißen Band der Spurensicherung abgesperrten Fundort. Nelly fragt sich, wieso dieser Tod sie irgendwie nicht erstaunt. S’ogu malu ... Nelly, krieg dich mal wieder ein, das ist völlig abwegig! Celsi und seine Kollegen, die nach Indizien suchen, sehen in ihren Overalls wie Astronauten aus. Offenbar war der Hund wie schon andere Male sehr weit ins Unterholz vorgedrungen und den Abhang hinuntergestürzt, wobei er sich die Hinterpfoten und einige Rippen gebrochen hatte. Sein Herrchen war ihm vielleicht gefolgt, bis er in dieselbe Falle gegangen war. Dichtes Gestrüpp und Lorbeerbüsche, Mastix, Heidekraut, Erdbeerbaum und Myrte verdecken die gefährliche Stelle. Er hat den Fuß falsch gesetzt, ist hinuntergestürzt und hat weniger Glück gehabt als der um einiges leichtere Hund. Seine Geheimnisse, wenn er denn welche gehabt hat, hat er mit in den Tod genommen. Sein Verhältnis zu Giacomo Pisu. Die Einzahlungen. Die großzügigen Geldgeschenke. Aber er ist allein bis hierher gegangen, das beweisen die Spuren. Es gibt zwar auch andere Fußabdrücke, doch sowohl der Gärtner als auch der Sohn haben angegeben, dass sie manchmal hierher kommen und dass in dieser Gegend viele Beeren- und Pilzsammler unterwegs sind, obwohl es verboten ist. Der Doktor wollte das Grundstück deshalb einzäunen
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