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Der Fluch vom Valle della Luna

Der Fluch vom Valle della Luna

Titel: Der Fluch vom Valle della Luna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Cerrato
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stürzt sich erbittert auf ihn, doch er packt sie nur hämisch grinsend bei den Handgelenken. »Er hat sogar die beste Freundin unserer lieben Serena gebumst. Ach komm, das wusstest du doch, hör auf, die untröstliche Tochter zu spielen, oder wär’s dir lieber gewesen, er hätte dich rangenommen? Du weißt ganz genau, dass er mir die Freundin ausgespannt hat, deine alte Busenfreundin Gioia. Ja, genau so war’s.« Er blickt triumphierend in die Runde, weil er es geschafft hat, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und seinem Onkel Alceo die Show zu stehlen. »Er hat meine Mutter unglücklich gemacht, sie in ein mit Psychopharmaka vollgestopftes Wrack verwandelt, und ich soll sagen, er sei ein redlicher Mann gewesen, nur weil er mir den Gefallen getan hat, ins Gras zu beißen? Ach, leckt mich doch alle am Arsch!«
    In der Stille, die der Szene folgt, betritt Maria Grazia mit einem Tablett in der Hand den Raum, begleitet von Romeo Pizzi mit einem zweiten Tablett. Sie stellen alles auf dem grünen Marmortisch ab, und mit anmutigen Bewegungen verteilt sie die bestickten Servietten. Wer möchte Tee? Wer Kaffee? Wie viel Zucker? Nelly ist von ihren unglaublich schönen Händen fasziniert, den langen Fingern und perfekt geformten Nägeln. Sie füllt eine Tasse nach der anderen mit duftender schwarzer oder goldschimmernder Flüssigkeit, tut auf Verlangen Zucker hinein und reicht sie den Anwesenden, ohne dass ein einziger Tropfen auf dem wertvollen Teppich landet. Die anderen wirken völlig ausgepumpt. Niemand spricht, jeder ist froh über die Waffenruhe und konzentriert sich auf seine Tasse. Nelly steht auf, tritt an eines der vier hohen, dunkel gerahmten Fenster und wirft einen Blick hinaus. Sie schiebt den Vorhang zur Seite, der das Licht ausgesperrt hat. Ein Balkon flankiert den Saal auf ganzer Länge. Nelly öffnet die Tür und schlüpft hinaus, um die klare Luft zu atmen. Sandra gesellt sich zu ihr.
    »Entschuldige, Nelly. Hätte ich das geahnt ...«
    »Lass gut sein, Sa. Ist ja nicht deine Schuld, und der Tee ist ausgezeichnet. Zeigst du mir den Rest der Wohnung?«
    Drinnen trinkt Maria Grazia im Stehen neben der Tür, wie eine Angestellte. Sandra winkt sie heran.
    »Magraja, Nelly würde gern die Wohnung sehen, wärst du so nett?«
    »Aber natürlich, kommt, hier entlang.«
    Nelly bemerkt, wie schlank sie ist und wie behände sie sich bewegt, trotz der krummen Schultern und des ausweichenden Blicks. Wie jemand, der körperliche Arbeit gewöhnt ist. Sie gehen den endlosen Flur entlang, Maria Grazia öffnet die Türen zu zahllosen Zimmern: Bibliothek, Papas Arbeitszimmer, Anselmos Arbeitszimmer, Alceos Zimmer, Bad, noch ein Bad, dann biegen sie in einen abzweigenden Korridor und erreichen nach ein paar fensterlosen Räumen die Küche. O Gott, was ist das denn? Die Küche ist riesig. Die Möbel stammen aus den Sechzigern oder Siebzigern. Nur der Kühlschrank sieht neuer aus. Ein einziges Fenster und eine Tür, die auf einen Balkon hinausgeht. Nelly tritt hinaus, blickt hinunter, und ihr stockt der Atem. Der Innenhof ist ein finsteres, bodenloses Loch. Auf der einen Seite wird die sechste Etage um drei weitere überragt – war die sechste nicht die letzte? Dazu geht es mehrere Stockwerke tief in den Bauch der Erde hinab, bis weit unterhalb des Straßenniveaus, von dem aus Nelly das Haus betreten hat. Ein graues Wetterdach verdeckt den Himmel. Balkons und Eisenstiegen, überall liegt altes Zeug herum, eine Haushaltshölle, in der Generationen von Bediensteten gedarbt haben.
    »Beeindruckend, nicht?« Sandra ist unbemerkt neben sie getreten.
    »Das kannst du laut sagen.«
    Sehnsüchtig denkt Nelly an ihre kleine Terrasse und kann es gar nicht abwarten, endlich von hier zu verschwinden. Doch die beiden Frauen führen sie in ein schummriges Schlafzimmer, fernab vom Rest des Hauses. Einsam, riesig und schlecht beheizt. Unangenehmer Uringeruch liegt in der Luft. Maria Grazia blickt sie entschuldigend an. Im Ehebett erkennt Nelly einen zusammengekauerten Schemen. Auf der Kommode allerlei Behandlungsinstrumente, Arzneimittel, ein Blutdruckmessgerät. Auf einem Stuhl eine mit einem Handtuch zugedeckte Bettpfanne.
    »Seit drei Jahren ist Mama in diesem Zustand. Nach ihrem Schlaganfall hat sie sich nicht mehr erholt. Manchmal geht es ihr ganz gut, dann kriegt sie mit, was um sie herum passiert, und versucht, etwas zu sagen. Ich tue für sie, was ich nur kann.«
    Nelly denkt, in so einem Zustand wäre es besser, gar nichts mehr

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