Der Fluch vom Valle della Luna
Kategorie, was eher von Marilena denn von Magraja auszugehen schien. Dem Aschenputtel ... Noch so ein Klischee, das immer wieder zutrifft. Wie das von Rotkäppchen, Opfer männlicher Triebe, oder das von Schneewittchen, Opfer weiblicher Rivalität. Die Märchen bringen es auf den Punkt.
In dem Moment erschien Tano in der Tür. In einer perfekten Welt, schoss es ihr durch den Kopf, wären er und Carlo dicke Freunde, und zu dritt würden sie glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage zusammenleben.
»Ciao, Nelly. Hör mal, ich wollte dir einen Vorschlag machen.«
Tano war in Hochform. Er trug das übliche hellblaue Hemd, eine dunkelblaue Steppweste, Jeans und Dreitagebart. Killerlächeln. Musste ausgerechnet mir das passieren? Zwei zum Preis von einem. Dabei gibt es Heerscharen von Frauen, die nicht mal ’nen halben abkriegen. Was für eine Ungerechtigkeit. Sie spürte, wie eine heiße Woge sie durchlief.
»Ciao, Tano. Ein unmoralisches Angebot? Eines, das man nicht ausschlagen kann?«
Sie sah ihn verschmitzt an.
»Was für ein Tag ist heute?«
Tano hatte die Tür sacht zugedrückt und war zu ihr hinter den Schreibtisch geschlüpft. Er küsste sie auf den Hals. Mit einem wohligen Schauer zog sie den Kopf zwischen die Schultern.
»Was heute für ein Tag ist? Mittwoch, glaube ich. Wieso?«
»Weil ich wahnsinnige Lust habe, das Wochenende mit dir wegzufahren, irgendwohin. Wir nehmen uns ein, zwei Tage frei und ab geht’s. Komm schon, Nelly. Im Augenblick ist hier eh nicht viel los. Lass uns abhauen, wir waren noch nie zusammen weg.« Wieder küsste er sie auf den Hals, doch diesmal wich Nelly zurück.
»Darüber reden wir, wenn wir uns sehen, ja? Im Büro bin ich einfach nicht entspannt, wenn’s um private Dinge geht, das weißt du doch.«
Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht, und hastig griff sie nach seiner Hand.
»Ich komme heute Abend zu dir, okay?«
Sein Lächeln kehrte, nur um eine Winzigkeit getrübt, zurück. »Um acht, ich warte auf dich.« Und schon war er weg. Nelly stürzte sich in die Arbeit. Sie wollte an nichts denken, zumindest nicht bis zum Abend.
Der Abend kam pünktlich und willkommen wie ein unverhofftes Geschenk. Nach mehreren Tagen fast winterlicher Kälte zeigte sich der Frühling abermals lau und versöhnlich. Nelly hatte ihre Garderobe mit Bedacht ausgewählt, sie fühlte sich schön und begehrenswert. Während sie auf Tanos Klingel drückte, hoffte sie, dass er ähnlich gut gelaunt war und den Abend nicht wie so oft mit Gereiztheit und Eifersüchteleien verdarb. Bratenduft zog ihr entgegen, als sie die Wohnung betrat. Tano war ein guter Koch, wenn auch nicht ganz so gut wie Carlo.
»Ist hier jemand, oder soll ich sofort die Streife und den Gerichtsmediziner rufen?«
Sie schloss die Tür und trat in die kleine, dunkle Diele. Plötzlich packte sie jemand von hinten, instinktiv trat sie aus und erwischte den Fuß des Angreifers, dem ein Stöhnen und ein unterdrückter Fluch entfuhr. Als sie die Hände und die Lippen erkannte, die jetzt ihr Ohr berührten, gab Nelly ihre Gegenwehr auf und ließ sich in Tanos Arme sinken. Ohne ein Wort zu sagen, stolperten sie ins Schlafzimmer.
Viel später spürte sie auf dem zerwühlten Bett diesem berstenden Glücksgefühl nach, das sie erfüllte und zugleich unglücklich und beklommen machte. Denn es war das gleiche, das sie empfand, wenn sie mit Carlo geschlafen hatte. Es war sinnlos, sich etwas vorzumachen und sich einzureden, dass Carlo und sie zwei freie Menschen waren, die schon vor langer Zeit vereinbart hatten, einander nicht zur Treue verpflichtet zu sein.
»Woran denkst du?«
Tano war aufgestanden, in die Küche gegangen, hatte ein paar Scheiben Braten und Kartoffeln in die Mikrowelle geschoben, zwei Gläser Spumante eingegossen und stand nun nackt und mit einem Tablett in der Hand in der Schlafzimmertür. Sie lächelte ihn an und sah weg, um Zeit zu gewinnen.
»Ich habe daran gedacht, dass die ungesagten Worte die schönsten sind. Sie treiben wie Seerosen auf dem Spiegel unserer Gedanken und können nicht untergehen. Glück kann man nicht in Worte fassen.« Sie lächelte abermals und fühlte sich wie Judas. Tano setzte sich zu ihr aufs Bett. Er bewegte sich mit einer fast unmännlichen Geschmeidigkeit, wie eine Raubkatze. Carlo war viel ungelenker und täppischer. Er schob ihr ein Stück Kartoffel in den Mund.
»Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber es klingt wunderschön«, entgegnete er ironisch. Nelly wurde
Weitere Kostenlose Bücher