Der Fluch von Colonsay
hatte. Sie verstand es und hielt es auch für richtig. Ihr Wissen konnte sie mit niemandem teilen.
Doch Alice wusste ein Geheimnis zu wahren.
***
Draußen schien die Abendsonne, als ob sie die Menschen für den Dauerregen entschädigen wollte. Es war eine Weile her, dass Gary Zephyr nach Hause gefahren hatte. Obwohl er zuvor versprochen hatte, wieder zurückzukommen, war er bisher nicht aufgetaucht. Mark befand sich irgendwo im oberen Stockwerk, und Kerry war beim Backen, den köstlichen Düften aus der Küche nach zu urteilen.
Rosamund stand in der Eingangshalle und wischte sich nervös die feuchten Hände an ihrer Jeans ab. Dann ging sie langsam in Richtung von Ambrosines Empfangszimmer. Dort war sie also gestorben, brutal von Cosmo niedergestreckt. Irgendwie war Alice in diese Tragödie verwickelt worden und konnte bis heute keinen Frieden finden.
Rosamund packte den Türknopf und drehte daran. Die Tür klemmte wieder, und so drückte sie dagegen, bis sie aufging. Wie immer roch es in dem Zimmer feucht und moderig. Es herrschte Dämmerlicht. Rosamund trat über die Türschwelle und spähte in die Dunkelheit.
Das Zimmer hatte nicht immer so ausgesehen. Einst musste seine geschmackvolle Ausstattung Ambrosines Schönheit entsprochen haben. Hatte sie sich hier mit Mr Marling vergnügt, wenn Cosmo außer Haus war? Sie mussten ein beeindruckendes Paar abgegeben haben. Wusste Alice von der Affäre? Rosamund konnte sich vorstellen, dass ein intelligentes und neugieriges Mädchen wie sie von ihrer Arbeit ziemlich gelangweilt war und nach Abwechslung suchte. Zwölf schien ihr zudem ein schwieriges Alter zu sein, und Alice Parkin mochte durchaus schwieriger gewesen sein als …
»Rosamund?« Kerry tippte ihr auf die Schulter, als wollte sie sich bei ihr für den Schrecken entschuldigen. »Musst du wirklich in dieses Zimmer gehen?«, fragte sie, offensichtlich sehr nervös.
»Hier ist es geschehen, Kerry. Ich weiß es einfach.« Sie verließ das Zimmer und zog die Tür zu. »Hat Ada viel mit dir über ihre Mutter gesprochen? Mir hat sie nur erzählt, wie glücklich Ambrosine gewesen ist. Für Ada stand eigentlich immer Cosmo im Zentrum ihrer Bewunderung.«
Kerry folgte ihr in die Eingangshalle. »Viel hat sie nicht mit mir darüber gesprochen. Aus ihren Worten ging hervor, dass ihre Mutter weder körperlich noch geistig stabil gewesen ist.«
»Ich denke, Cosmo war ziemlich dominant.«
»Warte, ich glaube, Ada hat erwähnt, ihre Mutter sei nicht – wie Cosmo – aus wohlhabendem Hause gekommen. Deiner Großmutter zufolge war es eine Liebesheirat. Das ist in der damaligen Zeit in diesen Kreisen ungewöhnlich gewesen. Ambrosines Vater, ein Farmer oder Viehzüchter, muss schwere Zeiten durchgemacht haben. Und ich weiß, dass ihr Bruder kurze Zeit nach Ambrosines Tod im Burenkrieg gefallen ist. Mrs Ada sagte, sie wäre ganz anders aufgewachsen, hätte er überlebt. Nicht, dass die Kirkwoods sie nicht gut behandelt hätten. Das war die Familie, die sich um sie kümmerte, bis sie deinen Großvater kennenlernte.«
In der Küche angekommen, machte Rosamund Kaffee. »Arme Ada. Kein Kind kann so etwas durchmachen und völlig normal bleiben.«
»Mrs Ada war aber völlig normal«, sagte Kerry steif. »Weißt du was?«, fuhr sie dann nachdenklich fort. »Es könnte doch sein, dass Ambrosine von nördlich des Murray River kommt. Ja, so war es bestimmt! Ich erinnere mich jetzt, dass Mrs Ada mir erzählte, ihre Mutter hätte das Meer nie gemocht. Das kam bestimmt daher.«
»Tinyutin?«, fragte Rosamund.
»Wie bitte?«
»So heißt der kleine Ort, in dessen Nähe Cosmo Land besaß. Sie müssen Nachbarn oder so etwas gewesen sein. Auf diese Weise sind sie sich wahrscheinlich begegnet. Der reiche und gut aussehende Cosmo reitet übers Land und erblickt die schöne Tochter des armen Farmers. Und schon war es passiert. Arme Ambrosine, sie hatte dabei wahrscheinlich keiner gefragt.«
»Vielleicht war sie ihm auch sehr dankbar.«
»Vielleicht.«
»Nun, das ist alles, an was ich mich erinnern kann. Tut mir leid.«
Rosamund strahlte sie an. »Weißt du, Kerry, du überraschst mich immer wieder.«
Kerry wurde rot.
Draußen im Flur klingelte das Telefon.
»Sollte das die Presse sein«, rief Rosamund Kerry hinterher, die abnehmen wollte, »sag ihnen, ich bin nicht zu sprechen.«
***
Der Arzt war gegangen. Kirkwood hatte die Leitung des Haushalts übernommen, Colonsay tanzte nach seiner Pfeife. Alice war sich nicht sicher, woher
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