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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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er auf einmal kam. Vielleicht ein befreundeter Politiker. Jedenfalls schien er Einfluss zu besitzen. Er rief die gesamte Dienerschaft im Salon zusammen. Sie standen eng zusammengedrängt wie Kriegsgefangene und warteten, was er zu sagen hatte. Wie die kleinen Leute überall auf der Welt hofften sie, er brächte alles wieder in Ordnung.
    Alice rutschte unruhig herum und ignorierte Meggys Gemurmel: »Wo ist Jonah? Ist Jonah nicht da?«
    »Dies ist ein furchtbarer Tag.« Mr Kirkwoods Stimme war von Trauer gezeichnet. Er hob den Kopf und sah in die bleichen, eingefallenen Gesichter. »Ein furchtbarer Tag. Mrs Cunningham ist tot, und Mr Cunningham – nun, wir vermuten im Augenblick, dass er sich das Leben genommen hat. Er wurde dabei beobachtet, wie er mit dem Boot hinausfuhr. Bisher ist er nicht zurückgekehrt.«
    Er schwieg, bis sich diese Botschaft gesetzt hatte. Alice fühlte sich unwohl. Cosmo war tot? Das hatte sie nicht gewollt. Das war in ihrem Plan nicht vorgesehen gewesen. Sie begann zu zittern und spürte, dass es den anderen um sie herum ähnlich erging.
    »Mrs Cunningham wurde von ihrem Ehemann ermordet, mit einem Schwert in Stücke gehackt. Und aus Reue, Schuldgefühlen oder Furcht hat er sich dann selbst gerichtet.« Mr Kirkwood wiederholte die letzten Worte, um ihnen Gewicht zu verleihen. Mrs Gibbons begann zu wimmern und hielt sich sogleich den Mund mit ihrer plumpen Hand zu. Andere weinten.
    »Die Wahrheit kann manchmal sehr grausam sein«, fuhr er fort, als seine Zuhörerschaft wieder aufnahmefähig zu sein schien. »Es gibt daher Fälle, in denen es besser ist, zur Lüge zu greifen. Ich möchte, dass ihr euch Folgendes vorstellt. Was, wenn Mrs Cunningham nicht von ihrem Gatten ermordet worden wäre? Was, wenn sie erkrankt wäre, sagen wir, an einer Influenza? Was, wenn sie daran gestorben wäre? Sie hatte ein schwaches Herz, das die Krankheit nicht verkraftete. Und was, wenn ihr Gatte sein Boot bestiegen hätte, völlig außer sich vor Kummer, in die Bucht hinausgesegelt und nicht mehr lebend zurückgekommen wäre? Was würde geschehen, wäre es so gewesen?«
    Er ist schlau, dachte Alice. Sie sah das Aufleuchten der Gesichter um sich herum, bemerkte das Aufhorchen. Sogar Mrs Gibbons Lippen stellten das Beben ein.
    »Gehen wir also davon aus, dass sich alles so ereignet hat, wie soeben geschildert. Der Name Cunningham bleibt unbefleckt. Mr Cunningham behält seinen rechtmäßigen Platz in den Geschichtsbüchern dieses Landes. Für seine Rolle bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung und der Konstituierung des Staatenbundes. Er wird als Held in die Geschichte eingehen, umso mehr angesichts der tragischen Umstände seines Todes.«
    »Wie wahr«, flüsterte jemand.
    Mr Kirkwood schenkte ihnen ein knappes Lächeln. »Und Mrs Cunningham? Was wird mit ihrem Ruf geschehen? Sie stirbt plötzlich, im Vollbesitz ihrer Schönheit und eurer Liebe, der Liebe der gesamten Nation. So kann sie in Frieden ruhen. Oder sollen sich die Menschen ihrer als blutiges Stück Fleisch auf dem Fußboden erinnern? So entsetzlich entstellt, dass sie nichts Menschliches mehr an sich hatte?«
    »Nein!« Mrs Gibbons Aufschrei rührte an ihre Herzen.
    »Und was ist mit euch? Wollt ihr als Dienstboten der Familie Cunningham mit Sympathie und Mitgefühl behandelt oder aus makabrer Sensationsgier heraus angestarrt werden? Findet ihr schnell neue Arbeit, wenn jeder die Wahrheit über eure letzten Arbeitgeber und ihren grausamen Tod kennt? Sicherlich hat noch keiner unter euch bisher über diese Dinge nachgedacht, aber das muss leider sein.«
    Ja, stimmte Alice zu, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte. Die Leute würden sich Gedanken über ihre eigene Zukunft machen müssen. Die Ereignisse auf Colonsay waren nicht gerade eine Empfehlung für neue Arbeitgeber. Mr Kirkwood war sehr klug, sie daran zu erinnern.
    »Die Zeitungsschreiberlinge können sehr grausam sein«, fuhr er leise fort. »Überhaupt alle Menschen können das sein. So liegt die Bekanntgabe der Wahrheit nicht in jedermanns Interesse.«
    »Die Leute werden die Wahrheit aber doch sowieso herausbekommen, oder?«, fragte einer.
    Mr Kirkwood zögerte. »Wenn Mrs Cunningham an Influenza gestorben ist, wird Colonsay unter Quarantäne gestellt. Keiner darf herein oder hinaus. Keiner wird etwas sehen oder hören. Wir können die Wahrheit für uns behalten. Dafür würde ich sorgen, in unser aller Interesse. Ich würde dafür sorgen, dass der Name Cunningham weiterhin

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