Der Fluch von Colonsay
genug, um etwas daran ändern zu wollen. Mark hatte ihre Nachlässigkeit natürlich bemerkt, aber nichts dazu gesagt.
»Zu viel Arbeit. Immer zu viel verdammte Arbeit.« Rosamund griff nach dem Handtuch. Der Spiegel war angelaufen, und sie konnte nur vage Umrisse erkennen. Das letzte Mal, als sie in diesem Badezimmer gestanden hatte, war sie ein junges Mädchen gewesen, hatte Mark noch nicht gekannt, ihn noch nicht geliebt. Hatte eigentlich noch nichts gewusst vom Leben.
Dass sie mit Mark zusammengekommen war, überraschte und verwunderte sie bis heute. Er war eigentlich gar nicht ihr Typ, kam aus einer anderen Welt und jagte hoch gesteckten Zielen nach. Während Rosamund in den letzten Jahren viele Gelegenheiten verpasst oder ausgeschlagen hatte, führte sein Weg steil nach oben. Er kam aus ärmlichen Verhältnissen und hatte seine Baufirma an die Spitze geführt. Alles, was er anpackte, brachte ihm Geld ein – viel Geld. Vor zwei Jahren hatte er die Herausforderung angenommen und war um das Amt des Premierministers ins Rennen gegangen. Er war der Favorit bei den Vorwahlen im nächsten Monat, die nur ein kleines Hindernis auf seinem Weg zum Ruhm darstellten.
Mark hatte Kontakte in die Politik, seit er alt genug gewesen war, um zur Wahlurne zu gehen. Er beriet die Regierung auf verschiedenen Gebieten. In seinem fest gesponnenen Netz nützlicher Kontakte wusste er stets die richtigen Fäden zu ziehen. Ob Zeitungsverleger oder Betreiber von Fernsehsendern, ob Minister, Transportunternehmer oder Gewerkschaftsbosse – Mark kannte sie alle. Und jetzt wollte er endlich an den Entscheidungen beteiligt werden, die die Zukunft Australiens bestimmten.
Aber es war nicht immer nur harte Arbeit gewesen, jedenfalls nicht zu Anfang. Es hatte Zeiten gegeben, da schloss sich die Tür hinter Mark und Rosamund, und die Welt blieb draußen. Rosamund hatte Marks Leidenschaft und seinen unumstößlichen Glauben an sich selbst stets bewundert. Sogar dann noch, als sie ihn von ihr weggetrieben hatten.
Markovic Hoch- und Tiefbau – der Name seiner Firma stand in fetten schwarzen Lettern auf all seinen Geschäftspapieren. Rosamund fand, dass das durchaus etwas über den Mann hinter der Firma aussagte. Er hatte immer behauptet, zu Höherem berufen zu sein. Und nun ging er seinen Weg.
Rosamund wischte ein Stück des beschlagenen Spiegels blank und betrachtete sich. Der Dampf wirkte wie ein Weichzeichner, glättete Falten und eingekerbte Linien. So spiegelte sich auf dem Glas das Mädchen wider, das sie einmal gewesen war, mit allen Hoffnungen und Träumen. Sie fragte sich, ob sie alles noch einmal genauso machen würde, bekäme sie eine Chance, ihr Leben ein zweites Mal zu leben.
»Mrs Markovic?«
Die Stimme klang eher neugierig als zaghaft. Kerry Scott kannte sie schon lange, aus den Tagen, als sie noch Rose Cunningham gewesen war. Kerry hatte sich damals um Großmutter Ada gekümmert und wusste alles über die Familiengeschichte der Cunninghams. Ihre Beziehung entsprach nicht dem klassischen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis, war aber auch keine Freundschaft im engeren Sinne. Kerry überschritt niemals die unsichtbaren Grenzlinien. Wenn sie Mitleid mit dem Kind empfand, das Rosamund einmal gewesen war, zeigte sie das jedenfalls nicht. Rosamund konnte sich nicht erinnern, dass Kerry sie je in die Arme genommen hätte. Großmutter Ada hatte es bestimmt nicht getan. Ihre Kindheit war eine ziemlich lieblose Zeit gewesen.
»Ja?« Rosamund zog sich die Kleidung über und öffnete die Tür. Dampf quoll in den Gang. Noch einmal rubbelte sie ihre Haare durch, die ihr dicht und dunkel auf den Schultern lagen und Spuren von Feuchtigkeit auf ihrem dunkelroten Pulli hinterließen. Sie war barfuß.
Kerry Scott betrachtete sie belustigt. »Der Bauunternehmer ist gekommen. Mr Markovic hat ihn geschickt, um alles mit Ihnen zu besprechen. Ich habe ihn unten in die Bibliothek gesetzt.«
»Gut. Ich komme gleich runter.«
Kerry lächelte und wandte sich zum Gehen. Sie hatte sich nicht sehr verändert. Ihr Haar war schon immer grau gewesen; vielleicht ging sie ein wenig gebeugter und langsamer. Sie musste inzwischen fast sechzig sein, war seit vierzig Jahren Witwe und hatte Ada Cunningham dreißig Jahre lang Gesellschaft geleistet. So lange saß kein Mensch im Gefängnis, doch Kerry schien das nicht so zu empfinden. Sie hielt ihre Lebenszeit nicht für verschwendet.
Rosamund fand ihre Stimme wieder. »Danke, dass Sie sich wieder um das Haus
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