Der Fluch von Colonsay
er es gesagt.
»Wir brauchen eine Pause.«
Sie hatte sich wie ein Luftballon gefühlt, der vom Wind aus einer sicheren Hand in unsichere Höhen gerissen wurde, seiner eigenen Zerstörung entgegen.
»Der Bauunternehmer, Mrs Markovic – Rosamund.« Kerry schaute sie verwundert an.
Rosamund blinzelte und riss sich zusammen, zwang ihre Gedanken zurück in die Gegenwart. »Ja, natürlich. Ich brauche noch fünf Minuten. Vielleicht könnten Sie ihm Kaffee oder so etwas anbieten.«
»Selbstverständlich.« Kerry ging nun endlich wieder hinunter.
Der Flur lag still, das Klopfen und Hämmern von draußen mischte sich in der Ferne mit Vogelgesang und Flugzeugbrummen. Die Stille wog schwer und duftete wie überreifes Obst. Da war er wieder, der Duft nach Geißblatt.
Rosamund atmete tief durch und blickte auf das Buntglasfenster. Die Nymphe starrte sie aus den Falten des Stoffes heraus an. Das Haar schlang sich lianengleich um ihren Körper. Ein Auge fehlte, und ein Riss zog sich über ihre linke Brust. Auf einmal fühlte sich Rosamund traurig und deprimiert. Der Drang nach einem Schluck aus der Flasche, bevor sie nach unten ging, war fast übermächtig. Doch sie bezwang ihn und ging in ihr Zimmer, um sich anzukleiden.
»Um es ganz ehrlich zu sagen, Mrs Markovic …« Der Bauunternehmer Frederick Swann blickte ihr direkt in die Augen. Rosamund schlug die Beine übereinander und wartete ab. »Es gibt Probleme im Westflügel. Wie ich gehört habe, wurde er viele Jahre nicht genutzt. Sorgen machen mir vor allen die Wandrisse im rückwärtigen Bereich. Aufsteigende Feuchtigkeit ist nicht der Grund dafür, denn der Keller scheint in gutem Zustand zu sein. Aber der Dachstuhl ist teilweise zusammengekracht. Keine Sorge, das hört sich schlimmer an, als es ist. Die Substanz von Colonsay ist gut. Mit Geld lässt sich das alles beheben.«
»Mein Mann hat genug davon.«
Er lachte. »Tja, wenn er es für Colonsay ausgeben will, werde ich ihn nicht daran hindern. Die Arbeit kann ich gut gebrauchen. Ihr Mann ist doch auch in der Baubranche?«
»Er beschäftigt sich mehr mit Abbruchgrundstücken und Neubauprojekten. Renovierungen interessieren ihn nicht besonders.«
»Ah ja.«
»Was muss am Haus alles gemacht werden? Sie sagten, die Substanz sei im Prinzip gut. Für mich schaut das alles eher hoffnungslos heruntergekommen aus.«
»Also, lassen wir mal die Außengebäude wie Ställe, Scheunen und Hütten beiseite und schauen wir nur auf das Herrenhaus: Wandputz, Decken, Bodendielen, Türen, Türrahmen und ein paar Treppenstufen müssen erneuert oder ausgetauscht werden. Dazu kommen neue Elektroleitungen und natürlich neue Wasser- und Abwasserrohre.«
»Das scheint mir eine ganze Menge Arbeit zu sein, Mr Swann.«
Er runzelte die Stirn. In seinen blauen Augen leuchtete kurz ein Hauch von Missbilligung auf. Vielleicht hatte er von ihrer Fenstervorstellung vorhin gehört. Rosamund kniff die Lippen zusammen. »Sie wohnen im Ort?«
Überrascht schüttelte Rosamund den Kopf. »Nein, ich wohne in Colonsay und werde das auch weiterhin tun.«
»Das kann ziemlich unbequem werden, Mrs Markovic. Vielleicht ist Ihnen nicht klar, welche Unannehmlichkeiten all diese Baumaßnahmen mit sich bringen.«
»Wenn es mir zu viel wird, kann ich immer noch ausziehen. Und nennen Sie mich bitte Rosamund. Schließlich werden wir beide zusammenarbeiten, Fred, oder?«
»Frederick, bitte.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich habe gehört, dass unter der Dachschräge noch Möbel sind. Die müssen Sie runterräumen, bevor wir da oben anfangen können.«
»Meine Großmutter nannte das den Dachboden. Aber Sie haben recht, es ist eigentlich mehr ein Kriechboden. Der Himmel weiß, was dort oben verstaut ist.«
Nachdem die alte Dame gestorben war, hatte Rosamund Kerry Scott mit dem Ordnen des persönlichen Besitzes beauftragt. Zwei Stücke aus dem Nachlass waren verkauft worden: ein Gemälde des Landschaftsmalers Arthur Streeton und ein Tisch des schottischen Kunsthandwerkers Charles Rennie Mackintosh. Was mit dem Rest geschah, war Rosamund ziemlich egal gewesen.
»Soll ich meinen Männern sagen, dass sie alles ausräumen? Wir könnten das ganze Zeug in die Zimmer unten stellen, damit es aus dem Weg ist. Dort können Sie dann in Ruhe entscheiden, was wegsoll.«
»Ja, das wäre gut.«
Sie ging mit ihm nach draußen. Die Erde war durch die Lieferwagen und Baufahrzeuge ziemlich platt gedrückt und unter einer dünnen Oberfläche aus Schlamm hart wie Beton.
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