Der Fluch von Melaten
Stimme plötzlich weg. Leere breitete sich in meinem Kopf aus, allerdings nicht sehr lange. Schon sägte der hochfrequente Geistergesang wieder durch meine Gehirnwindungen.
»Ich kenne deinen Namen nicht.«
»Das will ich wohl glauben.«
»Du bist nicht aus der Stadt.«
»Nein, ich bin ein Fremder. Aber ich bin in die Stadt gekommen, weil man mich gerufen hat.«
»Du hast mit uns nichts zu tun...«
»Das weiß ich. Aber ich will auch nicht, dass ein Freund von mir stirbt. Ebenso wie die beiden anderen Männer. Ich bin gekommen, um dies zu verhindern.«
»Du willst uns stoppen?«
»Das hatte ich vor!«
»Nein, nein, das schaffst auch du nicht. Wir haben zu lange gewartet, aber du bist trotzdem interessant, denn du trägst etwas bei dir, das uns nicht gefallen kann.«
Ich wusste, was die Person meinte, und fragte deshalb: »Soll ich das Kreuz hervorholen?«
»Das würde ich dir nicht raten.«
»Gut, dann lasse ich es stecken.« Ich spreizte sogar meine Arme ab. »Aber mich würde interessieren, warum ihr...«
»Wir hassen es!« Plötzlich brandete das wilde Kreischen durch meinen Kopf. »Ja, wir hassen es! Wir hassen das Kreuz, denn das Kreuz hat uns verraten. Es hat uns schon damals verraten. Die Menschen und das Kreuz haben es getan...« Ihre Stimme war jetzt kaum noch zu verstehen, und ich hatte Mühe, mich darauf zu konzentrieren. »Im Namen des Kreuzes hat man uns zum Scheiterhaufen geführt, dort hineingestellt und uns den Flammen übergeben. Alles geschah im Namen des Kreuzes, denn es war wie ein Deckmantel, um die schlimmsten Taten zu verbergen.«
Ich verstand, dass sie bei diesen Erfahrungen das Kreuz nicht mochte. Aber es gab nicht nur die eine Seite, sondern noch eine zweite. Es war in der Vergangenheit des Christentums viel unter dem Zeichen des Kreuzes geschehen. Da waren unzählige Menschen gestorben, und es war wahnsinnig viel Blut vergossen worden. So genannte Ungläubige waren niedergemetzelt worden. Man hatte es immer wieder als Alibi für Verbrechen benutzt, besonders auf den Kreuzzügen, wo Menschen andere Menschen vergewaltigt, misshandelt und getötet hatten. Man hatte das Wort Sünde vergessen, denn wer an den Kreuzzügen teilnahm, dem waren durch den Ablass automatisch die Sünden vergeben, so jedenfalls hatte es der Papst gesagt.
»Was habt ihr getan?«
»Nichts!«, kreischte wieder die Stimme in meinem Kopf.
Die nächste Frage stellte ich aufs Geratewohl. »Bist du Marietta?«
»Das bin ich.«
»Die Hebamme?«
»Ja.« Auf dem schattenbleichen Gesicht zuckte es. »Ich und meine Freundinnen sind Hebammen gewesen oder warts frawen , die Pflegerinnen am Wochenbett. Wir waren gut, man hat uns immer geholt. Sibilla, Hanna und ich waren in der Stadt bekannt, aber wir waren vielen Männern zu unabhängig. Man suchte bei uns nach Fehlern, und die hat man gefunden. Wenn ein Kind starb oder eine Mutter im Kindbett, dann hat man uns die Schuld gegeben und erklärt, dass wir die Kinder brauchten, um sie dem Teufel zu opfern. Immer und immer wieder hat man uns das gesagt. Wir haben es abgestritten, aber das hat nichts geholfen. Man glaubte uns nicht. Man hatte uns gehasst, und dann hat man uns gefangen genommen und gefoltert. Es war eine grauenhafte Zeit, die wir in Dreck, Blut und Elend verbrachten. Und dort haben wir dem abgeschworen, an das wir bis dahin geglaubt hatten. Wir sagten uns, dass es, wenn es einen Teufel gibt, wir jetzt auf seiner Seite standen und ihm dienen, wenn er uns vor den Flammen rettete.«
»Ist das denn geschehen?«
»Ja und nein. Unsere Körper verbrannten, aber wir waren trotzdem vorhanden. Als Geister nahm uns der Teufel auf. Er schickte uns in eine Zwischenwelt, in der wir warteten, bis die Zeit reif für eine Rückkehr war. Nun sind wir wieder da. In einem Köln, das viel größer ist als damals und das auch ganz anders aussieht. Aber die alte Hinrichtungsstätte war noch vorhanden, und dort haben wir die Kraft gesammelt, die nötig ist, um den Fluch einzulösen. Keiner wird dem entgehen, was wir uns vorgenommen haben, das schwöre ich...«
»Deshalb habt ihr euch die drei Gastkörper gesucht?«, fragte ich.
»Ja, nur deshalb.«
»Warum gerade diese drei Männer?«
»Weil wir sie kannten.«
»Nein, das ist...«
»Von damals her!«, zischte es in meine Antwort hinein. »Ein Schmitz, ein Wienand und ein Höffgen waren dabei, als man uns folterte. Ein jeder von ihnen hat unsere Körper vergewaltigt. Sie haben ihre Späße mit uns getrieben, weil man sie
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