Der Flug der Adler
Herkunft sind höchst interessant. Dieser
Onkel da von Ihnen, dieser Oberfeldwebel im Hamburger Hauptquartier.
Bemerkenswerte Akte. Vor Dünkirchen in Gefangenschaft geraten,
viermal aus dem Gefangenenlager ausgebrochen, dann nach Auschwitz
verfrachtet, in die Baracken für die unverbesserlichen unter den
alliierten Kriegsgefangenen. Immerhin zwei Drittel von denen
mußten dort ihr Leben lassen.«
»Ja, ich weiß.«
»Natürlich haben sie ihn
im Hamburger Hauptquartier wegen seiner exzellenten Deutschkenntnisse
behalten. Er hat scheint's eine deutsche Kriegswitwe geheiratet.«
»Tja, die Liebe kennt keine Grenzen«, sagte ich.
»Wohl wahr. Aber sehr
interessant, die Familie, genau wie Sie. In England geboren,
irischschottische Abstammung, aufgewachsen im Shankill in Belfast. Was
man dort ein Protestantenschwein nennt.«
»Und?«
»Aber teilweise eben auch bei
der katholischen Kusine Ihrer Mutter in Crossmaglen aufgewachsen. Sehr
republikanisch eingestellte Leute da unten. Sie müssen
ausgezeichnete Kontakte haben.«
»Hören Sie, Sir«,
sagte ich vorsichtig. »Gibt es irgend etwas, was Sie noch nicht
über mich wissen?«
»Nein.« Er lächelte
wieder dieses selige Lächeln. »Wir sind äußerst
gründlich.« Er stand auf. »Muß los. Tut mir
leid, daß nichts draus geworden ist.« Er nahm seinen
Regenmantel. »Da ist nur noch eines. Vergessen sie nicht,
daß Sie den Official Secrets Act unterschrieben haben. Wer's
vergißt, kommt ins Gefängnis.«
Ich war vollends baff. »Aber
was macht das noch? Wo doch das Regiment keine Verwendung für mich
hat?«
Er war bereits im Gehen begriffen,
wandte sich aber noch einmal um. »Und vergessen Sie nicht,
daß Sie im Dienst der Reservearmee stehen. Sie könnten
jederzeit von einem Tag auf den anderen einberufen werden.«
Das interessante daran war, daß es da eine
Verbindung zu Deutschland gab, die er nicht erwähnte, wiewohl ich
selbst vor 1952 keine Ahnung davon hatte. Die Frau meines Onkels hatte
einen Neffen namens Konrad Strasser, oder zumindest war dies einer der
Namen, den er im Laufe der Jahre benutzte. Ich wurde ihm auf einem Fest
in Hamburg St. Pauli zu Ehren der deutschen Verwandtschaft meines
Onkels vorgestellt.
Konrad war ein kleines,
dunkelhaariges Energiebündel, das stets ein Lächeln auf den
Lippen trug. Er war zweiunddreißig und arbeitete als
Hauptkommissar bei der Hamburger Kriminalpolizei. Wir standen inmitten
eines plappernden Pulks in einer Ecke.
»Hat's denn Spaß gemacht an der Grenze?« fragte er.
»Nicht, wenn es geschneit hat.«
»Rußland war schlimmer.«
»Du warst dort mit dem Heer?«
»Nein, mit der Gestapo. Nur
kurz, Gott sei Dank. Wir haben dort ein paar Gauner gejagt, die sich
aus Armeebeständen bedient haben.«
Wenn ich sage, daß ich schockiert war, ist dies vorsichtig ausgedrückt. »Gestapo?«
Er grinste. »Wenn's erlaubt
ist, deine Kenntnisse zu vervollständigen: Die Gestapo hatte
Bedarf an gutausgebildeten und erfahrenen Kriminalbeamten, also ist man
überall im Land über die Polizeidienststellen hergefallen und
hat sich dort mit Leuten eingedeckt. Das ist auch der Grund, weshalb
über fünfzig Prozent der Gestapo-Leute nicht einmal Mitglied
der Partei waren, mich eingeschlossen. Ich war nicht einmal zwanzig,
als sie mich eingesackt haben. Ich hatte keine Wahl.«
Ich glaubte ihm aufs Wort, und
später bewiesen gewisse Ereignisse in meinem Leben, daß er
mir die Wahrheit erzählt hatte. Wie dem auch sei, er war mir
sympathisch.
Im Jahre 1954 trat Wilson erneut in mein Leben. Ich
arbeitete zu jener Zeit in Leeds im öffentlichen Dienst und
schrieb noch recht mittelmäßige Romane, die niemanden
interessierten. Ich hatte noch vier Wochen Urlaub gut und beschlossen,
ein paar Tage in Berlin zu verbringen, weil mein Onkel
vorübergehend ins dortige Hauptquartier der Alliierten versetzt
worden war.
Wilsons Anruf versetzte mir einen
Schock. Wieder Yates' Wine Bar. Diesmal bestellte er sich ein belegtes
Brot mit Schinken, aus Yorkshire natürlich, Knochenschinken.
»Langweilt Sie doch bestimmt, die Elektrizitätswerke.«
»Stimmt«, sagte ich.
»Aber immerhin bedeutet das nur eine Stunde Arbeit pro Tag. Ich
sitze die übrige Zeit an meinem Schreibtisch und schreibe.«
»Ja, aber der Erfolg
läßt weiter auf sich warten«, ließ er mich
unverblümt wissen. Es folgte Schweigen. »Berlin wäre da
bestimmt eine nette Abwechslung.«
»Hören Sie,
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