Der Flug der Adler
sagte sie. »Das linke Bein hat ja einen ganz schön langen Riß. Schauen wir mal, was ich im Vorratslager habe.«
Vorratslager. Ja, Harry hatte davon gesprochen.
»Ich komme mit«, sagte Max.
Er war beim Anblick all der Uniformen und der Waffen ganz erstaunt, schaffte es aber, sich nichts anmerken zu lassen. Julie ging die Kleiderständer durch und fand eine Khakihose.
»Britische Armee, zum Gebrauch für Offiziere.« Sie gab sie ihm. »Die müßte reichen, bis Sie in die Wohnung am Haston Place kommen. Dort haben Sie ja bestimmt eine zweite Uniform.«
Haston Place. Hausnummer drei. Kellerwohnung von Carter. Munros Schlafzimmer gleich rechts oben an der Treppe, Molly daneben und Harry dritte Tür an den Fenstern vorbei. Wohnzimmer gleich gegenüber der Treppe. SOE-Hauptquartier zehn Minuten zu Fuß in der Baker Street.
»Oh, ein ganzes Dutzend. Na dann werde ich mich mal umziehen gehen«, sagte Max.
»Wir sehen uns in der Bibliothek.«
Zehn Minuten später kam er die breite, ausladende Treppe hinunter. Bibliothek zur Linken, Eßzimmer zur Rechten, Küche durch den grünen Boivorhang hindurch. Julie war gerade dabei Holzscheite auf das Kaminfeuer aufzulegen. Sie musterte ihn kurz von Kopf bis Fuß.
»Sieht schon manierlicher aus. Wie fühlen Sie sich?«
»Viel besser. Das Morphium wirkt schnell.«
»Nehmen Sie aber nicht zu viel davon. Wir wollen nicht, daß Sie wie irgendein viktorianischer Dichter enden, total abhängig.«
»Ich war in meinem Leben bisher immer nur nach einem süchtig, dem Fliegen.«
»Na, das ist ja bekannt. Ich muß ins Pub runter und für die vom Rettungsboot den Auflauf fürs Mittagessen in den Ofen schieben. Ich schätze, Sie wollen es erst mal ruhig angehen lassen?«
»Ich habe meinen Lebtag nichts ruhig angehen lassen, Julie. Ich komme mit Ihnen. So ein kleiner Spaziergang tut vielleicht gut, um einen klaren Kopf zu bekommen.«
»Wir fahren runter und machen dann später einen Spaziergang am Strand. Sie brauchen wahrscheinlich Ihren Regenmantel.«
»Ja, ich hole ihn sofort.«
Als er sich im Schlafzimmer den Mantel überwarf, spürte er das Gewicht der Walther in der rechten Tasche. Er nahm sie heraus und überlegte hin und her, ob er sie zurücklassen sollte – ihr Gewicht vermittelte ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Er steckte sie wieder in die Tasche und ging nach unten. Gerade als er den Treppenabsatz erreichte, kam Julie in einem alten Regenmantel und mit einer Baskenmütze auf dem Kopf aus der Bibliothek.
»Sie sehen heute morgen sehr französisch aus.«
»Kein Wunder. Übrigens, ich habe gerade einen Anruf von Munro erhalten. Er fliegt jeden Moment mit einer Lysander los. Jack ist bei ihm. Molly wollte ebenfalls kommen, ist aber heute morgen für eine ganze Reihe von Operationen eingeplant.«
Seltsam, dieses Gefühl der Erleichterung.
»Ich werde sie schon noch früh genug zu Gesicht bekommen«, sagte Max.
Julie hakte sich bei Max ein. »Das ist aber keine Art, Harry Kelso. Sie sollten es kaum aushaken können. Männer.« Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Überhaupt keinen Sinn für Romantik. Kommen Sie, gehen wir.«
Zec und die Besatzung hatten am Rettungsboot zu tun. Max stand am Rand des Kais und blickte hinunter. Sie riefen zu ihm hinauf. »Toll, daß Sie wieder unter uns sind, Colonel«, rief der eine, und ein anderer, ein Riese mit wild zerzaustem Haar und Bart, sagte: »Schade, das mit Tarquin.«
Wie seltsam. Im Pub ging er hinter die Theke und nahm sich zwei Päckchen Players. Er zündete sich eine an, lehnte im Türrahmen und sah Julie bei der Arbeit zu. Sie schob den Auflauf in den Ofen und machte die Klappe zu.
»Das wär's.« Sie wandte sich um. »In Ordnung, gehen wir spazieren.«
Es herrschte gerade Flut, aber am Fuße der Klippen war noch
ein breiter Sandstreifen frei. Die Dünen an der Landspitze waren mit dichten Grasbüscheln bewachsen.
»Wie fühlen Sie sich jetzt?« fragte ihn Julie.
»Viel besser. Warum?«
»Oh, Sie wirken ein wenig gedämpft, das ist alles.«
Er rang sich ein Lächeln ab. »Ich glaube nicht, daß man dies so ausdrücken würde, aber sagen wir einfach, ich habe da drüben einen Dämpfer bekommen.«
»Dumm von mir.« Sie hakte sich bei ihm ein, und sie gingen weiter.
Und er war froh darüber, über den Kontakt mit dieser Frau und die Tatsache, daß sie ihn akzeptiert hatte, ebenso wie Zec Acland und seine Männer
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