Der Flug der Adler
uns die köstlichen Sandwiches schmecken. »Das Manuskript, das ich Ihnen geschickt habe, was halten Sie davon?« fragte ich.
»Ganz gut, soweit.« Und dann prustete er plötzlich los. »Nein, verdammt, es ist einfach spitze. Ein paar Lücken sind jedoch noch da.«
»Wie zum Beispiel?«
»Es steht nicht drin, was aus Julie Legrande geworden ist.«
»Ist mir nicht gelungen, das herauszufinden.«
»Ich kann's Ihnen sagen. Sie ist nach dem Krieg nach Frankreich zurückgekehrt und in Paris an Leukämie gestorben.«
»Ich verstehe.« Ich trank einen Schluck Champagner. »Sie sagten was von ein paar Lücken. Was fehlt noch?«
»Das kann Ihnen Lady Carter besser sagen. Sie erwartet uns
zur Mittagszeit in ihrem Haus.«
Denise aß vor Erstaunen nicht weiter. »Lady Carter? Aber so heißt doch das Rettungsboot.«
»Nun, das ist leicht zu erklären. Ihr Mann hat vor zehn Jahren kurz vor seinem Tod Geld für ein neues Boot gestiftet. Die Rettungsgesellschaft hat es nach seiner Frau benannt.«
»Lady Carter?« fragte ich.
»Jack Carters Frau. Sir Jack Carter, nachdem sein Vater gestorben war. Hat den Krieg als Oberst beendet. Jack, meine ich. Ist hierher gezogen und hat Grandcester Manor gekauft.«
»Und Lady Carter?« fragte ich, obwohl ich glaubte, daß ich die Antwort bereits wußte.
»Lady Molly, wie sie die Leute hier nennen, ehemals Molly Sobel. Hat hier jahrelang eine Praxis gehabt. Eine Heilige.«
Denise blickte mich fragend an und wandte sich dann an Zec. »Hatten sie Kinder?«
»Gütiger Gott, nein. Jack war ja in Dünkirchen ziemlich zusammengeschossen worden, wo er auch das eine Bein verloren hatte. Er war versehrt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Nein, eine Familie war nicht möglich. Nicht, daß das was machte, nicht nach Harry.«
»Was ist passiert?« fragte ich.
»Das soll sie Ihnen erzählen.« Er stand auf und warf einen Blick auf die Uhr. »Dann wollen wir mal gehen. Sie wartet bestimmt schon, und nehmen Sie Tarquin mit.«
Es regnete leicht. Als wir am Gutshaus ankamen, ließ Zec den Vordereingang links liegen, ging ums Haus herum und führte uns auf eine Terrasse, die oberhalb eines wunderschönen Rosengartens lag. Während der Regen bei geöffneten Terrassentüren auf den Fliesen spritzte, führte er uns ins Haus offenbar in die Bibliothek. Und da sahen wir sie, wie sie auf einem Sofa beim Kamin saß.
Sie war achtzig Jahre alt. Das weiße Haar war wie ein Heiligenschein um das jung wirkende Gesicht mit den kräftigen Wangenknochen. Ihr Kleid war einfach, aber elegant. Sie blickte von einem Manuskript auf, meinem Manuskript, und legte es beiseite.
»Ich lese es nun zum dritten Mal. Hab Sie gleich anhand der Fotos, das immer hinten auf Ihren Büchern ist, erkannt.«
»Lady Molly.« Ich nahm die Hand, die sie mir entgegenhielt. »Meine Frau Denise.«
Sie zog Denise neben sich aufs Sofa. »Bemerkenswert, wie Sie da noch einmal davongekommen sind, aber wie ich höre, sind Sie eine ausgezeichnete Pilotin.«
»Vielen Dank«, sagte Denise.
»Wahrscheinlich wandeln Sie sogar auf Wasser. Das hat Harry immer gesagt.« Sie tätschelte Denise die Hand. »Ich war fasziniert von Ihrem Buch«, sagte sie zu mir. »So viele Dinge, von denen ich niemals wußte.« Sie zögerte. »Könnte ich vielleicht Tarquin sehen?«
Denise öffnete den Reißverschluß der Tasche, nahm ihn heraus und gab ihn ihr. Lady Molly blickte ihn verzückt an. »O Tarquin.« Sie drückte ihn an sich, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Wo haben Sie ihn nur her? Harry dachte immer, Tarquin wäre bei dem Absturz mit der Lysander in Frankreich für immer verlorengegangen.«
»Allem Anschein nach hat Munro gleich nach Ende des Krieges durch seinen Agenten Jacaud einige Nachforschungen anstellen lassen«, sagte ich. »Jacaud berichtete ihm, daß man Tarquin an der Absturzstelle gefunden hatte und daß ihn seine Fernmelderin, eine Frau namens Marie, für ihre Tochter mitgenommen hatte.«
»Und dann?«
»Marie wurde nach der Landung der Alliierten im Resistance
Kampf getötet. Das Kind wurde von Verwandten adoptiert, und das war das letzte, was man von Tarquin gehört hatte.«
»Bis wir ihn auf dem obersten Regal eines Antiquitätenladens in Brighton gefunden haben«, sagte Denise. »Wie er dort hinkam, werden wir nie erfahren. Sein Name war jedoch mit ihm gereist.«
Es folgte Schweigen. Dann sagte ich nicht ohne Scheu: »Da ist
Weitere Kostenlose Bücher