Der Flug der Adler
hievten ihn an Bord. Harry sackte aufs Deck, und irgend jemand schlug ihm eine Decke um die Schultern.
»Harry, Sie sind's doch, oder?« fragte Munro.
»Sehen Sie mir doch in mein verdammtes Gesicht, Mann!«
»Was ist passiert?«
»Max hat mich rausgeholt, und Bubi Hartmann ist uns in einer Me 109 hinterhergejagt. Hat einen schweren Treffer gelandet. Max ist von dem Geschützfeuer im Rücken getroffen worden. Ende der Geschichte.«
»Gott im Himmel.«
Molly hatte den Arm um ihn gelegt. »Komm nach unten, ich werde dich untersuchen.«
»Wozu – um mir zu sagen, daß ich eigentlich tot sein müßte? Das weiß ich seit Jahren. Mein Bruder wußte das wahrscheinlich auch.« Harry hatte eine versteinerte Miene aufgelegt. »Weißt du, Molly, seit Ta rquin verschwunden ist, ist uns das Glück nicht mehr treu. Ich bin ein Toter unter Lebenden«, sagte er, stand auf und ging unter Deck.
COLD HARBOUR 1998
18
Denise und ich kehrten beinahe auf den Tag genau ein Jahr später nach Cold Harbour zurück, und was für ein Jahr es gewesen war! Meine Jagd nach der Wahrheit über Harry und Max Kelso hatte mich an die verschiedensten Ecken der Welt geführt. Akten im Pentagon, das Staatsarchiv in London, die Akten der Luftwaffe in Deutschland, Portugal und Madeira. Natürlich war mein Vetter zweiten Grades, Konrad Strasser, der alte Gestapo-Mann, mir eine große Hilfe gewesen. Es war schier unglaublich, was er vor seinem Tod noch alles aufzustöbern vermochte. Ich stand bei seiner Beerdigung auf einem Hamburger Friedhof im Regen, in tiefer Trauer über seinen Tod.
Das Staatsarchiv ist, was die Herausgabe von alten Geheimsachen betrifft, strengen Bestimmungen unterworfen. Andererseits ist es immer wieder verblüffend, was so alles herauskommt, wenn man die richtigen Leute kennt. So spürte ich beispielsweise einen wundervollen älteren Amerikaner von dreiundachtzig Jahren auf, der für die RAF geflogen war, den Krieg als Colonel in der U.S. Air Force beendet hatte und nun, nach einer erfolgreichen internationalen Karriere als Geschäftsmann, seinen Lebensabend in England verbrachte. Er hatte Harry Kelso gekannt und war wie er für den Kurierdienst geflogen. Seine Informationen waren von unschätzbarem Wert, vor allem was er über den Mann selbst zu sagen hatte.
Die zentralen Gestalten waren natürlich alle längst tot. Brigadegeneral Munro; Jack Carter, der den Krieg als Oberst beendet hatte; Teddy West, der es zum Generalleutnant der Luftwaffe gebracht hatte und in den Ritterstand erhoben worden war. Ferner der längst verstorbene General Eisenhower und Major General Tom Sobel, der zwei Wochen nach der Landung der alliierten Truppen in der Normandie in einer Dakota über dem Ärmelkanal verschwand.
Unglaubliches Glück hatte ich mit einem gewissen Major Vereker der Royal Military Police. Er war 1953 an Krebs gestorben, aber ich konnte seine Tochter ausfindig machen, eine in Falmouth lebende Witwe. Sie war so freundlich, mich zu empfangen, und ich erzählte ihr alles, was ich bis dato in Erfahrung gebracht hatte. Sie saß in ihrem heimeligen Wohnzimmer einen Moment lang in Gedanken versunken da, ging dann zum Schreibtisch und holte einen gelbbraunen Umschlag hervor.
»Das hier habe ich vor vielen Jahren zwischen den Habseligkeiten meines Vaters gefunden. Ich weiß nicht, ob es noch von Bedeutung ist. Sie können es lesen, wenn Sie wollen.«
Was ich dann auch tat, und ich stieß auf einen detaillierten Bericht über die Vorgänge an jenem Tag in Southwick, als der Major Max auf Befehl Munros verhaftet hatte.
Warum Madeira? Ganz einfach – Fernando und Joel Rodrigues hatten dem portugiesischen diplomatischen Dienst den Rücken gekehrt. Sie eröffneten eine Bar in der Alfama, dem alten Stadtviertel Lissabons, und eine weitere in Estoril. Mit dem Ende des Krieges wurde Sarah Dixon aus der Haft entlassen. Also zumindest dieses eine Happy-End gab es. Sie ging nach Portugal und heiratete Fernando. 1950 zogen sie nach Madeira und machten dort eine Bar und ein Restaurant auf.
Sie war längst verstorben, als ich dieser wunderschönen Insel einen Besuch abstattete, nicht aber Fernando, der mit seinen neunundachtzig Jahren noch unglaublich aktiv war, weiterhin Chef eines Mini-Imperiums aus Restaurants und Bars und Patriarch einer weitverzweigten Familie.
Er hörte mir zu und lachte, als ich zu Ende erzählt hatte. »Ich habe Ihre Bücher auf portugiesisch gelesen, sollten Sie
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