Der Flug der Adler
einen
Termin in London. Es regnete, und als sein Taxi die Pall Mall zum
Buckingham Palast hochfuhr, hüllte feuchter Dunst den St. James's
Park ein. Harry hatte sich eine Zigarette angezündet. Seine Wangen
waren hohl und sein Gesicht blaß.
»He, Chef, kriegen Sie 'ne
Medaille oder so was?« wollte der Taxifahrer wissen. »Ich
mein, das Fliegerkreuz haben Sie doch da schon, oder?«
»Na ja, im Augenblick sind die
damit sehr großzügig«, sagte Harry. »Ist heute
wieder einer von diesen Tagen.«
»Menschenskind, Sie sind ja 'n Ami, Chef. Was tun Sie da in der RAF?«
»Oh, da bin ich nicht der einzige«, sagte Harry.
Ein Polizist winkte sie durchs Tor in
den Palasthof. Harry holte seine Brieftasche heraus, aber der Fahrer
winkte nur ab. »Sie ham se wohl nicht alle, Chef. Sie brauchen ja
noch nicht mal hier zu sein.«
»O doch, das muß ich«, sagte Harry Kelso.
Er ging durch den Haupteingang und
folgte der Menge die Treppen zur Bildergalerie hoch. Hofbeamte
führten die einzelnen Leute zu ihren Plätzen. Die
Militärkapelle spielte Unterhaltungsmusik. Nach einer Weile
stimmten sie »God Save the King« an, worauf König
George und Königin Elizabeth eintraten und sich auf ihre
Thronsessel oben auf der Estrade setzten.
Die Auszeichnungen wurden in
ansteigender Reihenfolge aufgerufen. Kelso hatte in dem ganzen Wirrwarr
während der Luftschlacht um England keine Zeit gehabt, der
Zeremonie bei seiner ersten Auszeichnung beizuwohnen. Er war nicht
nervös, aber angespannt, und dann wurde sein Name ausgerufen.
»Oberleutnant Harry Kelso, Finnland.«
Plötzlich fand er sich vor dem
König wieder. Der König steckte ihm das Fliegerkreuz an.
»Finnland mit Umweg über Boston, wenn ich nicht irre,
Oberleutnant? Wir sind Ihnen sehr dankbar.«
»Ist mir eine Ehre, Eure Majestät.«
Später wanderte er recht ziellos
durch die Menge, eigentlich recht einsam. Er hatte niemanden, denn da
war niemand. Er war noch nicht ganz durchs Tor getreten, da hörte
er schon, wie jemand seinen Namen rief.
»Harry. Hier
herüber.« Ein Wagen des Generalstabs der RAF fuhr vor. West
lehnte sich aus dem Fenster.
»Inzwischen Brigadegeneral, wie ich sehe«, sagte Harry.
»Schnellbeförderung, Harry. Ist 'n
schneller Krieg. Ich wußte, daß heute Ihr Lamettatag war.
Hab mir gedacht, daß ich Sie in meinen alten Club mitnehme, den
Garrick. Da kriegt man immer noch ein anständiges Mittagessen.
Einfach, aber nahrhaft.«
»Hört sich gut an.«
»Na, dann los.«
Im Garrick saßen sie in der
Ecke der Bar und tranken einen Whisky mit Soda. Dougal Munro und Jack
Carter traten ein, beide in Uniform.
»Dougal«, rief West.
»Setzen Sie sich zu uns.« Sie kamen herüber.
»Sie erinnern sich an Brigadegeneral Munro und Captain Carter,
Harry? Sie waren in Downfield dabei, als Sie für uns die Me 109
getestet haben.« Er lächelte. »Harry kommt gerade vom
Palast. Hat sich einen Streifen für sein Fliegerkreuz
abgeholt.«
»Wunderbar«, sagte Munro.
»Kommen Sie, da trinken wir zusammen eine Flasche Champagner
drauf.« Er rief den Barmann. »Veuve Clicquot,
einundzwanziger, und sagen Sie bloß nicht nein. Ich weiß,
daß ihr welchen habt.« Er bot Harry eine Zigarette an.
»Da fällt mir ein, Sie könnten mir einen Gefallen tun,
alter Junge.«
»Und der wäre, Sir?«
»Ach, lassen Sie doch das Sir. Ich war vor dem Krieg ein
einfacher Archäologieprofessor. Man hat mich
zum Brigadegeneral gemacht, damit ich, wie ihr Amerikaner euch wohl
ausdrückt, den Leuten Feuer unterm Arsch machen kann.«
Harry lachte. »Ziemlich treffend gesagt, Herr Brigadegeneral. Was kann ich für Sie tun?«
»Das gleiche wie letztes Mal,
nur geht's diesmal um einen Fieseler-Storch-Aufklärer. Kennen Sie
die Maschine?«
»Aber sicher. Wir haben sie in Finnland eingesetzt. Wo haben Sie die her?«
»Der Kompaß war defekt. Der Pilot ist
nachts von Holland losgeflogen und dann in Kent gelandet. Hat gedacht,
er sei in Frankreich. Wäre es Ihnen morgen früh recht? Wieder
in Downfield?«
»Aber gern.«
»Gut. Ich habe eine
Überraschung für Sie. Meine Nichte wird uns Gesellschaft
leisten. Molly – Molly Sobel. Ist übrigens Amerikanerin. Ihr
Vater ist Colonel im Kriegsministerium. Die Eltern haben sich getrennt,
da kam sie 1935, sie war siebzehn, rüber, um bei ihrer Mutter zu
sein. Sie hat hier dann Medizin studiert.«
»Hat sie ihren Abschluß gemacht?«
»O ja, 1939.
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