Der Flug der Aurora – Die Frontier-Saga (1): Die Frontier-Saga 1 (German Edition)
Andere waren noch schwerer verletzt, hatten abgequetschte Gliedmaßen, offene Bauchverletzungen und eingedrückte Brustkörper. Und nahezu jeder hatte Verbrennungen, wobei die leichter Verletzten die größten Schmerzen hatten, während die Schwerverwundeten kaum etwas spürten.
Voller Grauen beobachtete er, wie diejenigen, die sich noch bewegen konnten, denen halfen, die dazu nicht mehr in der Lage waren. Die meisten hatten nur einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert und verfügten vermutlich über keinerlei praktische Erfahrung. Trotzdem gaben sie unter unglaublich schwierigen Umständen ihr Bestes. Sie befanden sich in einem trüb erhellten Raum mit lauter Verletzten und Sterbenden, inmitten eines antriebslos dahintreibenden Raumschiffs, das darauf wartete, vom nächstbesten Gegner geentert zu werden. Wie konnten wir nur in diese Lage geraten?, fragte er sich. Wie konnte es so schlimm kommen?
Er hatte den Behandlungsraum beinahe erreicht, als er bemerkte, dass die Tür zu einem Nebenraum offen stand. In Anbetracht des herrschenden Gedränges wirkte der Raum ausgesprochen still. Nathan wunderte sich, weshalb er nicht für die Behandlung der Verletzten genutzt wurde. Der Raum war unbeleuchtet, abgesehen von dem Lichtschimmer, der vom Vorraum hereinfiel. Vielleicht weckte die Dunkelheit seine Neugier; er ging zur Tür und spähte durch den Spalt. Der grauenhafte Anblick verursachte ihm schmerzhafte Schuldgefühle. Sind alle diese Menschen wegen mir umgekommen? Aufgrund der Entscheidungen, die ich getroffen habe?
Es war beinahe mehr, als er ertragen konnte. Er eilte in den Nebenraum und übergab sich ins Waschbecken. Ihm war schwindlig, und ihm brach der kalte Schweiß aus. Er musste sich am Becken festhalten, sonst wäre er umgekippt.
Minutenlang stand er da und versuchte, sich zusammenzureißen. Doch das schlechte Gewissen verursachte ihm nach wie vor Übelkeit, obwohl sein Magen bereits leer war.
»Alles in Ordnung?«, sprach ihn von hinten eine Frau an. Er wandte den Kopf zu ihr herum.
»Ja, sicher«, log er.
»Wirklich? Sie sehen nicht gut aus. Wie viel Blut haben Sie verloren?«
»Hä?« Er wandte ihr das Gesicht zu und erblickte eine kleine Chinesin mit blutbeschmiertem Kittel. Das lange schwarze Haar hatte sie sich zum Pferdeschwanz zurückgebunden und den wiederum geknotet, um zu verhindern, dass er mit den offenen Wunden ihrer Patienten in Berührung kam. Sie trug keine Untersuchungshandschuhe, wie sie beim medizinischen Personal Vorschrift waren, denn es war zu aufwendig, sie alle paar Minuten zu wechseln, wenn sie von einem Patienten zum nächsten eilte. Sie wirkte so erschöpft, als arbeite sie schon seit Tagen, obwohl die erste Transition gerade mal zwei Stunden her war. Gleichwohl war sie aufmerksam genug, seine Verletzung zu bemerken.
»Ihr Bein«, sagte sie. »Es blutet.«
»Ach, das.« Jetzt erinnerte er sich wieder, und er merkte, dass sein Bein pochte. »Ich kann warten. Außerdem sind viele Patienten schlimmer dran als ich.«
»Sind Sie sicher?« Plötzlich merkte sie, dass er einen höheren Rang hatte als sie. »Sir«, setzte sie hinzu. Dann schaltete sie. »Wollen Sie mit dem Captain sprechen?«
Er verspürte jähe Hoffnung. Also ist er noch am Leben? Und bei Bewusstsein? Dann würde der Albtraum namens Kommandogewalt vielleicht bald ein Ende nehmen. Wenn der Captain überlebt hatte, konnte er ihn wenigstens um Rat fragen, selbst dann, wenn er noch eine Weile ausfallen sollte.
Nathan warf einen Blick auf das blutverschmierte Namensschild der Frau. DR. M. CHEN stand darauf. »Dann lebt er also?«, fragte er. »Wie geht es ihm, Doktor? Ist er bei Bewusstsein? Kann ich ihn sprechen?«
»Vielleicht. Er kommt immer wieder vorübergehend zu sich. Er muss dringend operiert werden.«
»Können Sie das nicht machen?«
Sie musterte ihn erstaunt. »Ich bin nur Assistenzärztin, keine Chirurgin. Er muss in einem Unfallkrankenhaus behandelt werden, das auf Traumabehandlung spezialisiert ist, und zwar bald.«
Nathans Hoffnung zerstob. »Ich glaube, das ist im Moment keine Option.«
»Sie haben doch bestimmt einen Notruf gesendet. In ein paar Stunden sollte Hilfe von der Erde eintreffen, oder nicht?«
»Ich fürchte, Sie sind im Moment seine einzige Chance, Doktor.«
»Aber ich bin keine Chirurgin. Ich habe bislang nur bei ein paar kleineren Eingriffen assistiert«, wandte sie ein. »Außerdem können wir ohne Strom nicht operieren.«
Daran hatte Nathan noch nicht gedacht. »Und wenn Sie wieder
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