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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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stehend in einem Raum, der tagsüber anscheinend eine Art Schlachthaus war, denn lange Blutspuren zogen sich die Wände entlang. Und überall huschten die Ratten. Riesengroße, starke Ratten, die wie Hunde völlig unbehelligt hin und her liefen und im Unrat stöberten. Manchmal, wenn ein Inder vor seinen Füßen eine Ratte beim Verzehr eines welken Salatblattes überraschte, verscheuchte er sie mit einem Fußtritt, als wäre sie irgendein Haustier.
    In dieser Nacht marschierte ich stundenlang und versuchte, mich mit der Stadt und ihren Schrecken vertraut zu machen, sie zu zähmen. Als ich den Weg zurück zum Hotel wiederfand, war es drei Uhr morgens. In der Sudder Street atmete ich zum letzten Mal den Geruch des Elends und schneuzte mich schwarz.
    Ich lächelte.
    Ja, ohne Frage, Kalkutta war ein idealer Ort.
    Um zu töten oder um zu sterben.

55
     
    Im Morgengrauen duschte ich noch einmal und zog mich an. Um halb sechs verließ ich mein Zimmer und weckte den Bengali, der an der Rezeption vor sich hin döste – einer Holztheke auf einem Podium vor einem spärlichen Garten. Ich fragte ihn nach Monde Unique, und er sagte, er kenne nur eine einzige Niederlassung in der Nähe der Howrah-Brücke; ich könne sie nicht verfehlen, denn davor warte stets eine endlose Menschenschlange. »Lauter Bettler und Unheilbare«, fügte er mit angewidertem Ausdruck hinzu. Ich dankte ihm für die Auskunft und dachte dabei, der Abscheu sei ein Luxus, den man sich in Kalkutta nicht leisten könne. Nur zögerlich wurde es hell. Die Sudder Street war eine graue Aneinanderreihung von heruntergekommenen Hotels und schmierigen Imbißbuden, die eine bunte Mischung aus English breakfast und chicken tandoori anboten. Ein paar Rikschawallahs dösten auf ihren Karren, die Hände fest um die Hupe geklammert. Ein halbnackter Mann, der sich bei näherem Hinsehen als einäugig erwies, bot mir chai an, einen mit Ingwer und Zimt parfümierten Tee mit Milch in einem Becher aus Steingut. Ich trank zwei davon, kochendheiß und stark, dann ging ich die Straße entlang auf der Suche nach einem Taxi.
    Nach etwa fünfhundert Metern ragten zu beiden Seiten alte viktorianische Paläste auf, die Mauern farblos und voller Sprünge. Auf den Gehsteigen davor spannten sich zahllose schmutzige Zeltplanen, unter denen Hunderte von Menschen hausten. Ein paar Leprakranke ohne Finger und ohne Gesicht entdeckten mich und steuerten sofort auf mich zu; ich beschleunigte meinen Schritt. Schließlich erreichte ich die Jawaharlal Nehru Road, einen breiten Boulevard, gesäumt von zerfallenen Museen. Entlang der ganzen Straße führten Bettler ihre Attraktionen vor. Einer setzte sich im Lotussitz vor ein Loch im Asphalt und steckte den Kopf hinein, bis er völlig mit Sand bedeckt war, dann richtete er langsam seinen Körper auf, die Knie himmelwärts gerichtet. Wer die Leistung zu schätzen wußte, gab ein paar Rupien.
    Ich fand endlich ein Taxi und ließ mich nach Norden zur Howrah-Brücke bringen. Über der Stadt ging die Sonne auf, zwischen grasbewachsenen Pflastersteinen glänzten die Straßenbahnschienen. Noch herrschte kein dichter Verkehr, nur einzelne Männer, die gewaltige Karren hinter sich herzogen, rannten stumm die Straße entlang. Am Rand der Gehsteige machten junge dunkelhäutige Burschen in der Gosse ihre Morgentoilette - sie spuckten Schleimklumpen aus, rieben sich die Zunge mit einem Stahldraht ab und begossen sich mit Abwasser. Ein Stück weiter stocherten ein paar Kinder mit großem Eifer in halbverbranntem Müll, dessen Asche der Wind aufwirbelte. Unter den Büschen am Straßenrand hockten alte Frauen und erleichterten sich, und allmählich begannen sich die Straßen mit Trauben von Menschen zu bevölkern, die aus den Häusern, den Zügen, den Straßenbahnen strömten; mit zunehmender Hitze schwitzte Kalkutta Menschen aus. Auf dem Weg durch Straßen und Gassen entdeckte ich nun auch die unvermeidlichen Tempel, die ausgemergelten Kühe und die Sadhus, die hinduistischen Eremiten und Asketen, deren Stirn eine farbige Träne ziert. Indien - hier vereinigten sich das Grauen und das Absolute in einer düsteren Umarmung.
    Das Taxi kam zur Armenien Ghat am Ufer des Flusses. Die Niederlassung von Monde Unique stand im Schatten einer Autobahnbrücke. Sie bestand aus einer Zeltplane auf metallenen Streben, errichtet auf dem Gehsteig, zwischen fliegenden Händlern. Unter diesem Dach waren hellhäutige Europäer damit beschäftigt, Kartons mit Medikamenten zu öffnen,

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