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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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fand ich ein Taxi und trieb den Fahrer an, der in Richtung Salumam Bazar abbog. Nach einer halben Stunde in dichtem Gewühl, engen Gassen und Dauerhupen stürzte das Taxi sich mitten hinein in einen regelrechten Suk und kam nur voran, indem es Verkaufsstände rammte und die Saris der Frauen streifte, woraufhin es Beschimpfungen hagelte. In vielen zersplitterten Strahlen barst die Sonne über der Menschenmenge. Das Viertel schien immer enger und tiefer zu werden - der Weg, auf dem wir vorwärts zu kommen versuchten, erschien mir wie der Hauptgang in einem Ameisenhaufen. Aber auf einmal tauchte ein weitläufiger Park vor uns auf, in dem zwischen Palmengruppen ein großes Herrenhaus mit weißen Säulen stand.
    »Marble Palace?« schrie ich den Fahrer an.
    Der Mann drehte sich um und nickte mit einem breiten Grinsen, das alle seine stählernen Zähne im Mund freigab.
    Ich bezahlte ihn und sprang hinaus und weigerte mich zu glauben, was ich sah. Hinter dem hohen Gitterzaun erstreckte sich ein Park voller erlesener Schönheiten, prächtig blühten die Bäume, Pfauen und Gazellen stolzierten einher. Aber das Tor war nicht abgeschlossen, und kein Wächter stand davor, um ungebetene Gäste fernzuhalten. Im Laufschritt überquerte ich den Rasen, rannte die Stufen hinauf und betrat den Marmorpalast.
    Ich geriet in einen weiten, hellen Raum in vorwiegend grauen Tönen. Alles war hier aus Marmor, der in Farbe und Muster stets wechselte - einmal war er rötlich gemasert, einmal durchzogen von blauen Schichten, einmal in dunklen, kompakten Blöcken, die eine Mischung aus Schwere und eiskalter Schönheit boten. Vor allem aber standen hier Hunderte von Statuen, alle weiß, schimmernd, elegant, Skulpturen von Männern und Frauen im Stil der Renaissance, als stammten sie geradewegs aus einem Florentiner Palast.
    Ich durchquerte diesen Wald von steinernen Körpern und hatte das Gefühl, als folgten mir ihre ruhigen, schemenhaften Blicke. Auf der gegenüberliegenden Seite führten große Flügeltüren in einen Innenhof unter einem steinernen Balkon. Ich trat in den Hof hinaus und blickte über hohe Fassaden und Fenster mit feinverzierten Rahmen hin. Die Gemäuer des Marble Palace bildeten die Einzäunung rings um diese Oase der Kühle und Heiterkeit - dieser Hof war sein Herz, sein eigentlicher Daseinsgrund. Die Fenster, die steinernen Brüstungen, die Kanneluren der Säulen hatten weder mit der indischen Tradition noch mit der viktorianischen Architektur etwas gemein. Wieder hatte ich das Gefühl, mich in einem italienischen Renaissancepalast aufzuhalten.
    In der Mitte erblühte ein kleiner Garten aus tropischen Pflanzen, zu dem mehrere marmorgekachelte Stufen hinabführten; eine Wasserfontäne erzitterte in einer plötzlichen Brise. Dieser unwirkliche Ort verströmte eine Atmosphäre schattiger Frische, eine ruhige Einsamkeit, die verträumte Stimmung eines verlassenen Harems. Auch in dieser Oase standen vereinzelte Statuen und reckten ihre Formen den seltenen Sonnenstrahlen entgegen, die bis hierher vordrangen. Waren wir wirklich in Kalkutta, mitten in diesem unbeschreiblichen Chaos? Leise Vogelrufe ertönten. Ich betrat den Bogengang entlang dem Innenhof und entdeckte alsbald große Holzkäfige, die an den Wänden aufgehängt waren; weiße Vögel hüpften darin umher.
    »Das sind Krähen, weiße Krähen. Sie sind einzigartig. Seit Jahren züchte ich sie hier.«
    Ich fuhr herum. Marie-Anne Senicier stand vor mir, so wie ich sie mir immer vorgestellt hatte, die weißen Haare hoch auf dem Kopf zu einem Knoten aufgesteckt. Farblos war auch ihr Gesicht, nur der purpurne Mund stach hervor wie eine grausame, blutrote Frucht. Mein Blick trübte sich, meine Knie wurden weich. Ich wollte etwas sagen, aber statt dessen sank ich auf einer Marmorstufe zusammen, eine Woge von Übelkeit überschwemmte mich, und ich erbrach mir die Seele aus dem Leib. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich unter Husten und Würgen die letzte Galle von mir gegeben hatte. Endlich richtete ich mich wieder auf und murmelte mit niedergeschlagenem Blick und rauher Kehle: »Entschuldigen Sie . bitte . ich .«
    Marie-Anne machte meinen unbeholfenen Bemühungen ein Ende. »Ich weiß, wer du bist, Louis«, sagte sie. »Nelly hat mich angerufen. Unser Wiedersehen ist wohl ein wenig seltsam ...« Mit sanfterer Stimme setzte sie hinzu: »Louis, mein Sohn .«
    Ich wischte mir den Mund ab und sah auf. Meine wirkliche Mutter. Ich war so aufgewühlt, daß ich kein Wort

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