Der Fluss
da.
»Wir haben ein Problem«, sagte Derek plötzlich. Auch er war ans Ufer gekommen und hatte seine nassen Sa chen ausgezogen, um sie zum Trocknen an einen Baum zu hängen.
»Das ist klar«, sagte Brian. »Wir haben eindeutig ein Problem.«
»Nein. Ich meine nicht die Dinge, die uns hier bevor stehen. Ich meine, wir haben ein Problem mit dir.«
»Was willst du damit sagen?«
»Du bist so … still. Weißt du, ich sehe, dass du dich umschaust und nachdenkst, aber ich weiß nicht, was du denkst oder wonach du suchst. All dies muss ich wissen. Ich muss es aufschreiben, damit auch andere erfahren, was sie in einer solchen Situation tun sollten.«
Brian nickte. »Ich verstehe. Nur war ich das letzte Mal, als ich so etwas machte, allein.«
Wie seltsam! dachte Brian. Damals hätte ich alles da für gegeben, jemanden bei mir zu haben, mit dem ich hätte sprechen können, mit dem ich alle Gefahren hätte teilen können. Jemanden, der mir zugehört hätte. Und jetzt, wo jemand bei mir ist, spreche ich nicht.
»Es ist ein sonderbares Gefühl, jemanden bei mir zu haben, hier draußen.«
Derek nickte. »Das ist’s, was ich meine. Du musst mir alles erzählen – es objektivieren, damit ich es aufschrei ben kann.«
Derek wanderte zurück zum Unterstand, wo er das Funkgerät und seine wasserdichte Aktenmappe zurück gelassen hatte. In der Mappe hatte er Notizbücher, jedes in einem Plastikbeutel, und jetzt holte er eines heraus, und einen Kugelschreiber, und begann eifrig zu schrei ben. Nachdem er ein Weilchen geschrieben hatte, hob er den Kopf und sah Brian erwartungsvoll an. »Also. Ich bin bereit.«
Objektivieren! dachte Brian. Wie soll man solche Dinge objektivieren?
»Na, ich denke gerade daran, dass wir uns heute eine sichere Schutzhütte bauen müssen. Wir müssen heute auch Feuer machen und wir müssen heute etwas zu essen finden …«
Ich klinge wie ein Katalog! dachte Brian. Als ob ich aus dem Telefonbuch vorlesen würde.
Aber Derek nickte und fing an zu schreiben, und Brian dachte daran, was er am liebsten gesagt hätte: Wir sollten das Funkgerät holen und ein Flugzeug rufen und nach Hause fahren und einen dicken Hamburger essen, eine Malzmilch trinken, vielleicht ein paar Becher Cola schlürfen, ein Steak mit Bratkartoffeln verputzen …
Er schüttelte den Kopf.
»Sag mal«, rief Derek. »Was hast du eben gedacht?«
Brian starrte ihn an und schüttelte den Kopf. »Es würde dich nicht interessieren. Nur Blödsinn.«
Er wandte sich ab und ging zurück zum Lagerplatz. Es war genug, fand er. Genug von diesem Geschwätz, dieser »Objektivierung«. Noch eine Nacht wie diese wollte er nicht überstehen müssen.
Sie zogen sich wieder an und Derek schnappte sich seine Mappe. Brian trug den Sender. Dann wandten sie sich nach links und marschierten am Ufer entlang. Erster Grundsatz, dachte Brian: Niemals das Ufer aus den Augen verlieren, sonst verirrst du dich. Er erinnerte sich an Derek, der hinter ihm hertrottete, und wiederholte den Satz für ihn.
»Danke«, sagte Derek ganz sachlich. Wie er dort stand, so hilflos ein Notizbuch in der Hand und die Tasche unterm Arm, sah er aus wie eine Witzfigur aus einem alten Film, und Brian hatte Schwierigkeiten, ein ernstes Ge sicht zu wahren.
»Genau das meinte ich mit Objektivierung.«
»Wir suchen jetzt nach einem Feuerstein, nach einem Unterstand und nach Nahrung«, sagte Brian. »Und all dies gleichzeitig. Immer, bei allem was man tut, muss man Nahrung suchen. Dort vorne am Rand der Lichtung – siehst du die Baumstämme dort?«
Derek nickte.
»Mit etwas Glück werden wir dort Maden finden. Spä ter.«
»Maden –?«
»Klar. Die Bären fressen sie gerne. Sogar mit Vorliebe. Im Moment könnte ich noch keine Maden oder Nackt schnecken hinunterwürgen. Doch in drei Tagen, wenn wir bis dahin nichts anderes finden und auch keinen Fisch fangen können, werden sie ganz appetitlich sein.«
»Maden und Nacktschnecken?«
Brian lächelte. »Ich dachte, du hättest schon an Über lebenstrainings teilgenommen?«
»Oh, wir haben Eidechsen und Schlangen gegessen und solche Sachen. Das Training findet immer in der Wüste statt. Bislang, jedenfalls. Ich glaube, das wird sich ändern. Und in der Zeitung steht oft von Leuten, die sich von Ameisen oder Heuschrecken ernähren – aber ich habe noch nie gehört, dass jemand Maden gegessen hat.«
»Man darf sie nicht kauen«, sagte Brian. »Das wäre zu ekelhaft, glaube ich. Sie zu zerbeißen, mit Eingeweiden und allem, wie
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