Der Fluss
Landschaft gelegt. Und wie auf ein geheimnisvolles Zeichen waren die Mos kitos verschwunden.
»Kaum zu glauben«, sagte Derek. »Von einem Mo ment zum andern sind die Quälgeister weg.«
»Hast du noch nie ihre Bekanntschaft gemacht? Bei eurem Überlebenstraining im Dienst der Regierung?«
»Doch«, nickte Derek. »Ganz klar. Aber ich habe nicht oft an solchen Trainingskursen teilgenommen. Nur ein paarmal – um zu sehen, wie es ist. Und für mich war es eine Pleite. Es gab immer genügend Zelte und Ausrüs tung und Insektenspray. Das hat der Sache ihren Reiz ge nommen, weißt du?« Derek lachte leise. »Aber das werde ich ändern, bei unserer nächsten Team-Besprechung. Die Kurse stimmen einfach nicht, sie sind psychologisch falsch. Du hattest völlig Recht, all die Sachen im Flug zeug zurückzulassen.«
Später, als alles ganz anders gekommen war, als Brian kaum noch Hoffnung hatte, gaben Dereks Worte ihm die Kraft, trotzdem weiter ihre Rettung zu versuchen.
7
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Der Regen kam nachts um elf Uhr. Derek fand noch Zeit, Späße zu machen: »Hattest du nicht gesagt, es würde sechseinhalb Stunden dauern? Jetzt waren es beinah sie ben!«
Und dann prasselte die Sturzflut herab. Wasser, nichts als Wasser. Rasch waren die Wetterwolken aufgezogen; binnen Minuten hatten sie die Sterne und den Mond verdunkelt – und ihre Schleusen aufgetan.
Das war nicht einfach Regen. Es war ein donnernder Wolkenbruch, dessen Wucht die beiden fast in der mat schigen Erde versinken ließ.
Sie waren wieder unter ihr Schutzdach gekrochen, um zu verschnaufen, nachdem die Moskitos sie endlich in Ruhe ließen. Aber die provisorische Hütte bot keinen Schutz gegen die Wasserfluten. Brian und Derek waren nass bis auf die Haut: nein, mehr als nass – sie waren ein geweicht und aufgelöst in Wasser.
Sie suchten Schutz unter den dichten Zweigen von Birken und Weiden, die am Ufer standen, aber auch die Bäume boten keine Rettung vor der Flut. Schließlich hockten sie geduldig im Unterholz und ließen alles über sich ergehen.
Ich bin so nass, als wäre ich mein Leben lang nass ge wesen! dachte Brian. So nass, dass sogar meine Seele sich auflöst. Dabei floss ihm ein Wasserstrahl über den Rü cken, beinah so stark wie aus dem Wasserhahn zu Hause in der Küche, schätzte er. Er erinnerte sich an seine Mut ter – zu Hause am Tisch, am großen Tisch im Wohnzim mer. Mit einem Dach über dem Kopf!
Er hatte ganz vergessen, wie schön und anheimelnd es unter einem Dach sein konnte.
»Ist ja verrückt«, sagte er zu Derek, der neben ihm saß. Aber seine Worte gingen im prasselnden Regen unter. So lehnte er sich gegen den Stamm einer Birke, schloss die Augen und ließ die Sturzflut über sich ergehen.
Hier bin ich, dachte er, um Derek zu zeigen, wie man in einer solchen Situation überleben kann; wie ich’s da mals schaffte, allein in der Wildnis zu überleben. Ich tu’s nur, um anderen Menschen zu helfen. Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als geduldig auszuharren.
Irgendwie ging auch diese Nacht vorbei.
Kurz vor dem Morgengrau hörte es auf zu regnen. Ein sanftes Aufatmen ging über das Land, beinah ein warmer Lufthauch – der auch die Moskitos zu neuem Leben und neuer Angriffslust beflügelte. Als die Sonne endlich am Himmel stand und ihre wärmenden Strahlen über den See schickte, hatte Brian ein Gefühl, als sei er von einem Lastwagen überrollt worden, während er am Straßen rand spielte … Alle Knochen taten ihm weh. Als er sich aber nach Derek umschaute, der – seine Jacke fest um den Kopf geschlungen – unter einem Baum kauerte, musste er lachen.
Derek erwachte von dem Geräusch, und er lugte aus seiner Jacke hervor. »Was ist da so lustig?«
Brian schüttelte den Kopf. »Ich finde es gar nicht lustig – aber du schaust so jämmerlich aus.«
»Du solltest dich mal selber sehen.« Derek grinste. »Wie eine ersoffene Ratte.«
»So fühle ich mich auch.«
Sie standen auf, stemmten sich hoch und Brian tappte zum Ufer hinunter. Er zog sich aus, bis auf die Unter hose, und hängte seine Kleider zum Trocknen an einen Ast.
Heute, so dachte er, noch heute müssen wir ein Ob dach finden und einen Feuerstein zum Feuermachen und etwas zu essen.
Schon meldete sich der Hunger.
Nicht der Hunger, der später kommen würde, dieser schneidende Hunger, an den er sich so gut erinnern konnte und der ihm noch immer den Mund wässrig machte, wenn er an einem Supermarkt oder an einer Im bissbude vorbeiging.
Aber Hunger war
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