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Der Fluss

Der Fluss

Titel: Der Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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gende Felswand, die ihn damals geschützt hatte. Das Schutzdach aus Zweigen und Baumrinde, das sie schnell gebastelt hatten, würde den Regen nicht abhalten. Aber es war ein Anfang.
    Trotzdem waren sie – Schutz suchend – in diese dürf tige Hütte gekrochen, als die Moskitos in immer dichte ren Schwärmen angriffen.
    Als gäbe es Schutz vor den kleinen Vampiren! dachte Brian.
    »Lieber Gott«, seufzte Derek im Dunkeln. »Das ist ver rückt.«
    Sie saßen da und hatten sich die Jacken über den Kopf gezogen, aber bei Dereks Körpergröße schob sich sein Hemd, wenn er die Jacke hochzog, über die Hüfte und entblößte dort einen Streifen Haut und als die Moskitos dort angriffen und er das Hemd hinunterzog, war sein Hals schutzlos ausgeliefert. Suchte er aber Kopf und Hals zu schützen, stürzten sich die Moskitos auf seinen Rü cken – und bald zappelte Derek auf und ab wie ein Ham pelmann.
    »Bleib ruhig«, sagte Brian, »und zwar innerlich. Es gibt Kämpfe, die man nicht gewinnen kann – und dies ist wohl so einer. Es wird noch schlimmer werden, bis nach Mitternacht. Erst wenn die Nachtkälte kommt, werden die Moskitos sich zurückziehen; zumindest die meisten.«
    Als ob Wörter helfen könnten, beruhigte sich Derek langsam – und auch Brian selbst.
    So ist es also! dachte er, während er vor sich hindäm merte und dem Sirren der tausend Quälgeister lauschte, die im Dunkeln seinen Kopf umschwirrten und sich einen Weg durch die schützende Jacke zu bahnen such ten: ja, so war es hier. Die Moskitos und die Finsternis und auch die Kälte der Nacht, die kommen würde, wie er wusste – all dies gehörte dazu. Gehörte zum Überleben in der Wildnis. Er wollte es Derek erzählen, doch er be schloss, besser den Mund zu halten.
    Derek sollte es selbst herausfinden. Oder auch nicht. Genau wie Brian es hatte herausfinden müssen.
     
    Irgendwann verließen sie ihren dürftigen Unterstand. Sie schlüpften hinaus, um sich die Beine zu vertreten. Viel leicht würde der kühle Wind, der mit dem Regen kom men musste, gegen die blutgierigen Sauger helfen.
    Noch aber stand die Sichel des Halbmonds am Him mel. Es war hell genug, um den See und seine bewaldeten Ufer zu erkennen. Über die Mitte der Wasserfläche zog der Mond eine silberne Bahn. Brian stand und staunte mit weit offenen Augen.
    Die Nacht hielt den Atem an. Nur hin und wieder ein Rascheln von Vögeln im Geäst, die im Schlaf ihr Gefieder sträubten; und ein lautloses Flattern geheimnisvoller Schwingen. Die Fledermäuse waren unterwegs, um ihre Nahrung zu suchen. Sie nährten sich von Insekten – auch von Moskitos – , das hatte Brian in der Schule gelernt. O ja, ihr Fledermäuse! seufzte Brian. Kommt her und holt euch euren Teil an den Moskitos. Es gibt ja genug davon.
    Ein dunkler Umriss schob sich über die spiegelnde Wasserfläche. Der Kopf eines Bibers – oder einer Bisam ratte? – zog seine keilförmige Bahn durch das flüssige Silber des Mondlichts.
    Von rechts hörten sie das leise Plätschern gemäch licher Wellen. Und Brian wusste, dass es der Fluss war, der dort den See verließ. Die Strömung war nicht sehr schnell, das Flussbett war nicht sehr breit – drei bis vier Meter vielleicht, von einem Ufer zum andern. Dennoch strömte das Wasser mit beharrlicher Kraft dahin.
    Ja, die Schönheit der Nacht hatte den Sieg über die Mückenplage davongetragen. Brian stand da und schau te – und ließ seine schützende Jacke von den Schultern gleiten.
    Irgendwann hörte er Derek neben sich atmen. »Un glaublich«, sagte er. Und Brian war froh, dass auch die ser nüchterne Wissenschaftler, für den nur Fakten und Formeln zählten, anscheinend für die Schönheit der Wildnis empfänglich war. Endlich sah er nicht nur die Gefahren einer ungezähmten Natur, sondern auch ihre Schönheit …
    »Ich hatte beinah vergessen«, seufzte Brian, »wie schön es war – dort draußen am See. Später träumte ich manchmal davon. Keine Alpträume, sondern ganz nor male Träume von Abenteuern im Wald, von dem Zauber dieser unberührten Welt. Und dann erwachte ich in mei nem Zimmer – den Verkehrslärm im Ohr und die trüben Straßenlaternen vor den Augen und ich war traurig. Ich vermisste diese Welt, ja, ich vermisste die Wildnis.«
    »Abgesehen von den Moskitos«, grinste Derek.
    »Tja«, lachte Brian. »Bis auf die Moskitos.«
    Plötzlich war ein kühler Hauch aufgekommen. Wäh rend die beiden noch miteinander sprachen, hatte sich die Nachtkälte auf den See und die

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