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Der Fluss

Der Fluss

Titel: Der Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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grausig. Sie sind so weich und – na, ein fach so glibberig. Aber wenn man sie in Blätter einwickelt und am Stück hinunterschluckt …«
    »Gut«, nickte Derek, und kritzelte in sein Notizbuch. »Maden und Nacktschnecken.«
    Brian blieb stehen und sah Derek an. »Essen ist die Hauptsache.«
    »Wie meinst du das?«
    »Wie ich es sage. Hier draußen in der Natur, in der Welt überhaupt, ist Nahrung das Ein und Alles. Was im mer wir sonst noch sind, wir und die ganze Schöpfung – es ist bedeutungslos, sobald wir nichts zu essen haben. Ich habe irgendwo gelesen, dass alles, was der Mensch ist, was der Mensch jemals war oder sein wird, all seine Ge danken und Träume, Liebe und Hass und alle kleinen und großen Projekte, nur von ein bisschen Ackerboden und Regen abhängig ist, die man braucht, um Getreide zu ernten. Nahrung.«
    »Hört sich an, als hättest du gründlich darüber nach gedacht.«
    »Ich hab an nichts anderes gedacht – immer wieder an Nahrung. Auch die anderen Tiere, die Vögel, die Fische, bis hinab zu den Ameisen, sind unentwegt auf Nahrungssuche. Sie suchen nach Fressen. Das ist’s, worum es in der Natur vor allem geht. Die Suche nach Nahrung. Und wenn man hier draußen in der Wildnis ist und überleben will, muss man nach Nahrung suchen. Immer wieder Nahrung. Zuerst das Essen .
«
    So verging dieser erste Tag. Gegen Mittag fanden sie ein paar Himbeerstauden im Gebüsch. Es war keine rei che Ernte. Vielleicht hätten die Beeren für einen allein ausgereicht. Aber für zwei Personen war es ein mageres Frühstück. Immerhin, es war schon etwas, und die bei den zwängten sich in Unterhosen durch das Gestrüpp und pflückten alle Beeren, die sie finden konnten. Sie fanden auch Traubenkirschen – diese roten Früchte, die Brian damals »Bauchweh-Kirschen« genannt hatte – , aber Brian schüttelte den Kopf. »Später, wenn uns nichts anderes übrig bleibt, und auch dann nur in kleinen Men gen …«
    Brian zog weiter am Ufer entlang, immer wieder ste hen bleibend und wartend, und schließlich wurde ihm klar, worauf er wartete – worauf er die ganze Zeit gewar tet hatte:
    Auf den glücklichen Zufall.
    Du wanderst dahin und beobachtest, und du strengst dich an und tust all dies, bis du irgendwann Glück hast. Wenn du Pech hast, musst du auch dies hinnehmen. Wenn es aber anders kommt und du Glück hast, musst du bereit sein.
    Am späten Nachmittag hatten sie Glück. Wie es so häufig geschieht, kam das Glück als Folge eines unglück lichen Zufalls.

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    Brian war vorausgegangen, am Ufer entlang, mit eini gem Abstand zu Derek, der weiter oben nach Beeren suchte und sich vom See entfernt hatte.
    »Bleib aber in Sichtweite«, hatte Brian zu ihm gesagt. »Entferne dich niemals so weit vom See, dass du das Ufer nicht mehr sehen kannst. Und falls du einem Bären be gegnest, schau ihm nicht in die Augen.«
    »Bären?«
    »Auch sie suchen Nahrung und sie fressen gern Bee ren. Irgendwann werden wir einen sehen. Zieh dich dann zurück und schau ihn nicht an. Irgendwo habe ich ge lesen, dass sie es als Drohung auffassen, wenn man sie direkt ansieht.«
    Brian war froh, dass Derek die Warnungen beherzigte und sich in Sichtweite hielt. Das Gelände stieg etwas an, während sie sich dem nördlichen Ufer näherten. In einer sanften Welle schwang sich dort ein ansehnlicher Hügel auf. Eis und Tauwasser hatten im Wechsel der Jahreszei ten an dieser Böschung genagt, wechselnde Wasserpegel im See hatten das Land abgegraben, das auch von schwe ren Regenfällen unterspült war. Brian sah die Auswir kungen des Unwetters der letzten Nacht. So war im Lauf der Jahre – der Jahrhunderte – ein steiler Abbruch in der Hügelflanke entstanden, beinah eine kleine Klippe. Sie war nicht besonders hoch – zehn Meter viel leicht – , aber steil und sehr brüchig, das Erdreich am Rand locker und vom Regen aufgeweicht.
    Brian trat an den Rand, legte das Funkgerät ab und beugte sich nach vorn. Dort unten sah er das grüne Was ser des Sees, in dem Fische schwammen, und dieser An blick machte ihm bewusst, wie hungrig er war. Es war mehr als ein Tag vergangen – vor dem Abflug zum See hatten sie ganz normal zu Mittag gegessen – und der Hunger meldete sich jetzt unerbittlich.
    Er drehte sich nach Derek um, der die flache Hügel-flanke heraufkam. »Siehst du die Fische dort -«
    Allzu weit war Brian auf die weiche Erde am Rand hinausgegangen und bevor er den Satz beenden konnte, brach die Böschung ab.
    Wie ein Stein sauste Brian

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